Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Partisanengeschichte gehandelt, für die die Filmemacher »deutsche Gesichter« benötigt hätten. Die Serie sei jedoch nicht zu Ende gedreht worden. Nach heftigen Protesten seitens der Presse wurden die Arbeiten abgebrochen. Es ging dabei offenbar um eine Auseinandersetzung zwischen Slowenen und Serben, um konträre Erinnerungen an die Vergangenheit. Zum ersten Mal in seinem Leben sei er mit derartigen Äußerungen von Nationalismus konfrontiert gewesen, was ihn sehr befremdet habe. Aus DDR-Perspektive galt Jugoslawien zwar schon fast als »Westen«, doch schließlich war es auch ein sozialistisches Land. Ganz sicher habe er mir neulich nicht den Titel des Films genannt. Der hieß nämlich »Die Schlacht um Dražgoše«.
Nach einer Pause sage ich verwirrt, wenn das in einem Roman vorkäme, dann würde wohl jeder meinen, hier habe die Autorin ein bisschen zu dick aufgetragen.
Ich könne ihm glauben, sagt Erwin Berner, dass er niemals einen solchen Filmvertrag unterschrieben hätte, wenn er nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, dass sein Vater zu den deutschen Schutzpolizisten gehört hätte. Die Scham hätte ihn davor zurückgehalten, dorthin zu gehen und Geld dafür zu bekommen, dass er diese Uniform anzieht. Natürlich habe er gewusst, dass sein Vater als Gebirgsjäger in Slowenien gewesen sei. Doch habe er damals von einem »Gebirgsjäger« eine eher harmlose, vielleicht sogar zivile Vorstellung gehabt: jemand, der mit einem Tirolerhut auf dem Kopf und einem Seil über der Schulter auf die Berge steigt.
Nur widerstrebend erklärt er sich einverstanden damit, dass ich diese Geschichte hier aufschreibe. Er möchte nicht, so sagt er, »von den falschen Leuten gelobt werden«.
Ich frage ihn, ob er seinem Vater damals von den Dreharbeiten und dem Titel der Serie erzählt habe. Daran entsinnt er sich nicht. Vermutlich habe er mit der Mutter darüber gesprochen,mit der ihn ein engeres Verhältnis verband. Aber der Vater, meint er, muss gewusst haben, dass er in Slowenien war. Er erinnert sich an eine Ansichtskarte, die er seinen Eltern aus Bled geschickt habe.
Als ich das nächste Mal bei Erwin jr. bin, um mir Briefkopien auszuleihen oder sie zurückzubringen, zeigt er mir den DEFA-Vertrag. Er wurde engagiert, so steht es dort, für die Rolle des »Horst« im Film »Schlacht um Dražgoše«. Außerdem hat er noch ein Foto gefunden, ein »Anschlussfoto«, wie er sagt, auf dem die Spielsituation festgehalten wurde, wenn die Arbeit an einer Szene unterbrochen werden musste. Das sei damals das erste Polaroidfoto überhaupt gewesen, das er in die Hände bekam – eine schon recht verblasste Farbaufnahme. Darauf stehen er und ein Kollege in grüner Polizeiuniform im Hof eines sehr alten Gebäudes. »Polizista Horst, Emil« steht auf dem Rand des Bildes und »Kas. Kranj«. Zweifellos wurde am historischen Schauplatz gedreht – in der Kaserne von Kranj/Krainburg.
Danach suche ich in Erwin Strittmatters Tagebüchern von 1980 nach einem Hinweis auf die Dreharbeit. Am 16. März notiert er, Sohn Erwin sei nach »seinem zweiten Jugoslawien-Trip« nach Schulzenhof gekommen. Er findet ihn »gefestigter, optimistischer« als vorher. Dann schreibt er, Erwin habe ihn nach seinen Jugoslawien-Erlebnissen im Krieg gefragt. Kein Erschrecken, keine Irritation über dieses unvermittelte Zusammentreffen mit der eigenen Vergangenheit ist ablesbar. »[…] ich erzählte zum ersten Mal meinen Söhnen und Hildchen und Daniela 163 einige meiner Kriegserlebnisse. Eigentlich habe ich eine Abneigung dagegen, die wurde mir in der Kindheit eingepflanzt, der Vater und die meisten Kleinbauern und Bergleute erzählten mit und ohne Flaschenbier hinterm Brustlatz, wenn sie zusammen kamen, von ihren Kriegserlebnissen, und die waren das Wichtigste, was sie erlebt hatten,und ich dachte schon damals: Wozu leben, wenn für einen in mittleren Jahren das Kriegserlebnis eine solche Wichtigkeit darstellt?« 164
Es blieb beim »Tirolerhut«, kommentiert Erwin jr. dieses Zitat.
DER SCHUSS
An diese Stelle gehört eine Geschichte, die sozusagen über »drei Ecken« überliefert wurde. Erwin Berner vermittelte mir den Kontakt zu der Berliner Künstlerin Sabine Landschek. Sie erzählte mir, was einige ältere Inselbewohner ihr berichtet hatten, die es wiederum von ihren Vätern, Müttern, Brüdern oder Nachbarn gehört hatten. Im Bewusstsein dieser dreifachenBrechung mit all den Unwägbarkeiten in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Übermittlung werde ich die
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