Erzaehl es niemandem
gehen. Oder nach England«,
sagt eine Frau aus der Fischfabrik eines Tages zu Lillian. »Mein Mann ist vor
zehn Monaten nach London geflohen. Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört.
Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt noch lebt.« Ihre Stimme klingt bitter. »Die
Leute sagen, unsere Exilregierung in London hat mittlerweile erlaubt , dass
norwegische Männer in England heiraten dürfen, selbst wenn sie daheim Frau und
Kinder haben.«
»Bestimmt nur ein Gerücht«, sagt Lillian leise und streicht der Frau
über den Arm. »Von den Deutschen.«
Nach Büroschluss kommen ganz andere Leute auf die Kommandantur. Es
sind vor allem Geschäftsleute aus den umliegenden Ortschaften. Sie wollen mit
den Deutschen Tauschhandel treiben. Denn deren Lager sind voll mit Alkohol,
Tabak und Parfum. Schwarzmarktware. Vieles stammt aus dem besetzten Frankreich.
Lillian bekommt hautnah mit, dass die Wehrmacht nach allem greift,
was Norwegen hergibt. Der Hering geht tonnenweise ins Reich. Und Lachse wandern
mit der Eisenbahn durch Schweden nach Deutschland. Die Felle von Silber- und
Platinfüchsen auch. »Feldpost« steht dann auf den Paketen.
Russische Kriegsgefangene
Herbst/Winter 1943
Deutschland hat Norwegen nicht aus politischen oder
ideologischen Gründen besetzt, sondern aus strategischen. Deshalb werden
überall an der Küste Bunker, Kanonenstellungen, Flugplätze und Straßen gebaut:
Die Festung
Norwegen soll für die Engländer uneinnehmbar sein, damit sie
nicht den Deutschen den Weg zum Atlantik versperren können.
Auf Führerbefehl wird 1943 mit der Planung einer Eisenbahnlinie bis
ganz in den Norden begonnen. Eine groteske, eine größenwahnsinnige Idee. Diese
Bahnlinie soll die Unabhängigkeit vom Schiffsverkehr bringen, um die für die
Kriegsmaschinerie wichtigen Rohstoffe aus Nordnorwegen sicher nach Deutschland
zu transportieren. Vor der Okkupation war die Bahn bis Mosjøen gegangen, rund
100 Kilometer südlich des Polarkreises. Nun beginnen die Bauarbeiten, um die
Strecke bis nach Narvik zu führen. Der Generalinspektor für Straßenwesen und
Festungsbau und Leiter der »Organisation Todt«, Albert Speer, vermerkt in einem
Schreiben am 16. November 1943:
Der Führer ist über den Fortschritt und den
Stand der Arbeiten erfreut, betont aber, daß die kürzestmögliche Fertigstellung
des Bahnbaues von entscheidender Bedeutung werden kann und deshalb mit allen
Mitteln angestrebt werden muß. Es soll sofort festgestellt werden, welche
Erzlagerstätten an der neuen Bahnstrecke liegen. Ziel der Bahn ist:
größtmögliche Mengen schwedisches Erz auf dem Schienenweg bis zum Süden
(Oslofjord) abzufahren. 53
Ich bin die einzige Straße dort in Nordland, die E 6, oft
genug gefahren, um aus eigener Anschauung zu wissen: Diese Landschaft ist eine
gebirgige Wildnis, unzählige Tunnel und Brücken wären für diese Bahnlinie
notwendig gewesen.
Zuständig für all diese Arbeiten ist die »Organisation Todt ( OT )« – benannt nach ihrem ehemaligen Leiter Fritz Todt. Die
»Organisation Todt« – in der Lingua Tertii Imperii , der Sprache des
»Dritten Reichs«, einer jener »volltönenden Fremdausdrücke« (Victor Klemperer) – ist in Wahrheit nichts als eine ungeheure Arbeitsmaschine, für die jetzt vor
allem Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene herhalten müssen. Später werden auch KZ -Häftlinge hinzugezogen. Russische Kriegsgefangene
werden zu Tausenden nach Norwegen gebracht. Sie müssen Sklavenarbeit beim Bau
der Baracken, Festungsanlagen und der Bahn leisten. In den 249 Arbeitslagern
werden sie gegen alle Regeln des Völkerrechts behandelt. 20 000 Russen
überleben den Hunger, die Seuchen und die Zwangsarbeit nicht. Insgesamt werden
es bis 1945 etwa 120 000 sowjetische Kriegsgefangene sein, die in die von der SS und von Quislings »Hird« – der SA der Nasjonal Samling – bewachten Arbeitslager der »Organisation Todt«
deportiert worden sind.
Ein Artikel in der Harstad Tidende vom September 1984 schildert
diese Bedingungen:
Die ersten Gefangenen kamen 1941 nach
Trondenes. Sie wurden in Hütten aus Sperrholzplatten zusammengepfercht. Ein
ehemaliger Gefangener berichtet, dass, als die Kälte einsetzte, sich einige der
Gefangenen ein Feuer aus Plattenstücken in der Hütte machten. Die Deutschen
entfernten deshalb die Bodenplatten, so dass die Gefangenen nun auf der
gefrorenen Erde liegen mussten. Nach und nach wurden Baracken aufgestellt, welche
bald überfüllt und feucht waren. Zum Schutz
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