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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Bewegung dieses Weibes etwas Gewolltes, etwas in Beziehung auf ihn Gewolltes zu liegen – ja, ihm war, als dächte diese Person, die da vor ihm einherging: Alles das tu' ich, wie es seine Frau getan. Ein Unwille wachte in seiner Seele auf; er hatte einen Augenblick Lust, umzuwenden und seines Wegs zu gehen, als könnte er diesen Spott sich nicht gefallen lassen. Aber es war, als zöge sie ihn nach sich, und er folgte ihr immer weiter. Sie bog in die Wollzeile ein, dann in eine Seitengasse, deren Namen er nicht wußte; hier verschwand sie in einem der ersten Häuser, ohne sich noch einmal umgewandt zu haben. Er blieb eine Weile vor dem Tor stehen; vielleicht käme sie wieder herunter. Er betrachtete die Fenster. Bald wurde im dritten Stock eines geöffnet. Es war die Frau, der er gefolgt war; er konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen, auch nicht die Richtung ihres Blicks, doch die Bewegung ihres Kopfes verriet ihm, daß sie nach oben schaute; dann stützte sie die Ellbogen auf das Fensterbrett und wandte den Kopf nach unten. Er eilte davon, er wollte nicht von ihr bemerkt sein. Aber wie er sich, durch die Straßen eilend, ihrer erinnerte, war es nicht irgendeine Fremde, die er heut zum ersten Male gesehen – nein, es war seine Frau, seine tote Frau, die in jener Straße, die Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt, herunterschaute. Er vermochte es gar nicht, sich dort eine andere zu denken, und wieder war ihm, als wüßte diese Fremde selbst davon, was in ihm vorginge. Er verwandte große Mühe darauf, das alles aus seinen Sinnen zu jagen, aber es war ganz vergeblich. Endlich setzte er sich in ein Wirtshaus, aß und trank. Die Schwüle war außerordentlich. Nachdem Gustav mehr getrunken hatte, verloren jene Vorstellungen ihr Quälendes, ja sie traten beinahe tröstend hervor. Es war plötzlich ein Wesen da, ein ganz bestimmtes Wesen, das für ihn irgend etwas bedeutete – es war eine Frau, es war beinah seine Frau, und sie dachte an ihn, oder ihm war, als dächte sie an ihn.
    Er träumte diese Nacht von der Toten. Er sah sich mit ihr in der Waldgegend, wo sie den letzten Sommer verbracht hatten; sie lagen zusammen auf einer sehr weiten, lichtgrünen Wiese, nur ihre Wangen lehnten und glühten aneinander; aber diese leichte Berührung erfüllte ihn mit einem so hohen Glück, wie er es nie in der leidenschaftlichsten Umarmung empfunden. Plötzlich war sie fort, und er sah sie am Ende der Wiese längs des Waldrandes hinlaufen, die Arme in die Luft gestreckt, so wie er in einer illustrierten Zeitung tags vorher ein Ballettmädchen gesehen, das sich vor den Flammen retten wollte. In diesem Augenblick empfand er mit einer Deutlichkeit, wie nur der Traum sie gibt, daß es vollkommen unmöglich für ihn wäre, den Verlust zu überleben, und doch blieb er im Grase liegen und tat nichts, als daß er fürchterlich schrie. Darüber wachte er auf und hörte sich selbst jammern. Durch das offene Fenster klangen die ersten unentwirrbaren Laute der Frühe, deutlich hörte er nur das Gezwitscher der erwachenden Vögel aus dem Stadtpark. Niemals früher hatte ihn seine Einsamkeit mit einem solchen Grauen erfüllt wie heute. Was er für die Frau empfand, die eben im Gras neben ihm geruht und deren lebenswarme Wange er an der seinen ruhen gefühlt, erfüllte ihn mit einer Sehnsucht nach ihr, die so ungeheuer und schmerzensvoll war, daß er lieber daran sterben wollte, als sie weiter erdulden. Er liebte diese Tote, wie man nur Lebendige lieben darf, mit einer verzehrenden Sehnsucht nach ihrem Besitz, er fühlte sich wieder von dem Duft ihres Leibes umhüllt, er bewegte leise seine Lippen, als wäre sie wieder bei ihm und könnte seinen Kuß empfangen. Dann rief er ihren Namen, rief ihn immer lauter, breitete seine Arme aus, erhob sich, stand auf, ließ die Arme sinken, fühlte eine Beschämung in sich aufsteigen, als hätte er sich an einer vergangen, die wie seine Freuden, so auch seine Sehnsucht und seine Träume nicht mehr teilen konnte und die er nur beweinen, aber nicht verlangen durfte.
    Er stand sehr früh auf, ging eine Stunde im Park spazieren und arbeitete im Büro so fleißig, als gälte es, durch redliches Betragen eine Sünde wieder gutzumachen. Ein Gedanke kam ihm auch, und es wunderte ihn nur, daß er nicht früher gekommen war: Wenn er sich ganz von der Welt zurückzöge, die ihm wohl noch Versuchungen, aber keine Lust mehr bringen durfte? Er dachte an einen entfernten Verwandten seiner Mutter, der als reifer

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