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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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hatte sich gebückt. Er wußte es ganz deutlich ... aber wann hatte er sich gebückt? Wie weit war er gegangen? Minutenlang? Eine Stunde lang? ... Ruhe, Ruhe, sagte er sich wieder, indem er stehenblieb. Er stand da und ließ das Leben der Stadt um sich fluten ... Sommerlich angetan spazierten sie daher, jung und alt, alle freuten sich des neuen schönen Tages. Niemand kümmerte sich um ihn ... Er versuchte zu pfeifen, irgendein Ding, das ihm just über die Lippen kam. Er konnte nicht, die Kehle war ihm zugeschnürt. »Warum bist du so aufgeregt« – sagte er sich dann ... »du bist links gegangen – eine gute Weile ... und hast dich dann gebückt. Also unten, irgendwo unten muß es liegen ... das ist ja schon sehr viel ... so viel zu wissen ... denn gestern um die Zeit warst du noch ein armer Schlucker ... Aber ... wozu bückt man sich ... Um etwas zu vergraben ... Ich habe es also vergraben ... oh ... ich weiß ja noch mehr ... es rauschte durch die Bäume ... In einem Garten also hab' ich's vergraben ... Nein ... es war kein Garten ... es hallte wider ... es war ein Brunnen ... ja, ein Brunnen, und darum rauschte es ... und ich stieg hinunter, und darum hallte es wider.« Er ging immer dieselbe Straße auf und ab und sagte wohl hundert Mal' vor sich her ... »Es rauschte ... und es hallte wider ...« Nach einer Weile hielt er inne ... »Und wenn es ein Brunnen war ... wo ... wo? – Aber nein, es ist zum Lachen, es war kein Brunnen ... gewiß nicht! Und wie gut, daß es kein Brunnen war, denn ich könnte ihn doch nicht finden, das ist gut ...« Er lachte. – Die Zähne klapperten ihm, er glaubte toll zu werden. Dann fing er wieder an: »Es rauschte und hallte wider ...« Er stand vor einer Branntweinschänke ... Er ging hinein und ließ sich ein Gläschen füllen ... Durch die Fenster sah er wieder auf die Straße, wo die Menschen teilnahmslos und fröhlich vorüberzogen ... Er trank und trank ... »Nun muß es mir ja einfallen ... denn im Rausch sieht der Mensch klarer ... Gewiß ... heute nacht fand ich den Weg ja im Dunkeln ... nur weil ich betrunken war ... ich werde ihn jetzt wiederfinden.« Als er hinaustrat, schwankte er ein wenig, aber sein Herz war leichter ... »Nun bin ich ja lustig«, murmelte er ... »Lala, tralala ... lustig ... Und warum bin ich lustig? ... Weil ich fühle, wie mir die Erinnerung zurückkommt ... Links ... ja links! Da bin ich ... und ich ging ... irgendwohin, wo es rauschte und widerhallte ... Nur lustig ... Du wirst schon finden, Weldein!«
    Er war an das Ende der Straße gelangt und befand sich am Eingang eines großen Parkes; ein leichter Wind zog durch die Blätter ...
    »Siehst du, Weldein ... es rauscht schon ...« Er taumelte vorwärts ... über einen breiten Kiesweg, zu dessen Seiten hohe Bäume im Blätterschmuck prangten. Auf den grünen Bänken saßen Kindsmägde und junge Mütter; alte Herren, Studenten schritten vorbei; Kinder spielten mit Reifen und Steinen. Weldein nahm einen Seitenweg; er kam bald auf einen freien Wiesenplan, auf den die Sonne glühte ... Der Rasen war nicht eingezäunt; im Abendschatten pflegten hier die Kinder zu spielen; jetzt lagen da einige junge Burschen, die schliefen. Über diese Wiese schwankte Weldein weiter. Das Gezweig bewegte sich leicht; ganz leise säuselte es in den Blättern ... »Es rauscht, es rauscht ...«, lallte Weldein. Dann sank er hin auf den heißen Rasen, und ein dumpfer Schlummer befiel ihn. Nach kurzer Zeit schon setzte er sich auf und starrte vor sich hin ... Sein Kopf war freier, und er begann von neuem nachzusinnen. »Es ist wohl Mittag vorbei, und gestern war ich ein armer Schlucker ... Es kommt darauf an, nun ja, natürlich, darauf kommt es an, daß ich ruhig genug werde, um mich an alles zu erinnern. Unsinn! Erinnern muß ich mich am Ende ... Jetzt ist's zu heiß ... man kann nicht nachdenken, wenn einem die Mittagssonne auf den Schädel brennt ... Also Ruhe ... und warten, bis es kühler wird.« Er stand auf und spazierte mit gemächlichem Gange durch die Alleen des Parkes. Manchmal war es ihm, als ob er sich auf die Erde werfen, mit den Nägeln im Sande wühlen müßte. Er knirschte mit den Zähnen; er biß sich in die Lippen. Einigemal setzte er sich auch auf eine Bank; doch hielt es ihn nicht lange. Es war ihm, als müßte er schreien und fluchen. Plötzlich stürzte er davon – weg aus diesem Park, wo die Bäume unaufhörlich rauschten. Er begriff nicht, was er so lange darin gemacht hatte ... Er wanderte

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