Erzaehlungen
ihr jetzt einfällt, daß sie ihm, dem diese Hoffnungen zustreben, in einigen Minuten gegenüber treten soll, flimmert es ihr vor den Augen. Sie steht auf, sie schwankt beinah. Dort am Ausgang des Gartens gegen den Burgplatz sieht sie das junge Paar verschwinden, das früher an ihr vorübergegangen ist; sie nimmt den gleichen Weg. Drüben sieht sie die Kuppel des Museums ragen und glänzen. Sie will langsam gehen, um nicht allzu erregt oder gar atemlos zu erscheinen, wenn er sie erblickt. Noch einmal durchschießt es sie wie eine Furcht: – wenn er nicht kommt? Aber wie es immer sei: sie wird diesmal Wien nicht verlassen, ohne ihn gesehen zu haben. Ob es nicht sogar besser wäre, wenn er heute nicht hinkäme? Sie ist jetzt so verwirrt ... wenn sie irgend etwas Dummes, Ungeschicktes sagte ...? Vom nächsten Augenblick hängt so viel ab – ihre ganze Zukunft vielleicht ... Das Museum liegt vor ihr. Nun über die Stufen, durch den Eingang, und sie steht in der großen, kühlen Vorhalle, sieht die mächtige Treppe vor sich, und dort, wo sie sich nach rechts und links scheidet, das ungeheure Marmorstandbild des Theseus, der den Minotauros erschlägt. Langsam steigt sie hinauf, blickt um sich, wird ruhiger. Die Pracht ringsum nimmt sie gefangen. Sie schaut in die Höhe, zu den Galerieen, die im Innern der Kuppel mit goldenen Geländern laufen, – sie hält inne. Hier eine Tür, darüber in goldenen Lettern: Niederländische Schule. Jetzt zuckt ein Stich durch ihr Herz. Die Flucht der Säle liegt vor ihr. Sie sieht da und dort Leute vor den Bildern stehen. Sie tritt in den ersten Saal, betrachtet das erste Bild, das gleich am Eingang hängt, mit Aufmerksamkeit. Die Mappe des Herrn Rupius fällt ihr ein. Und jetzt hört sie die Worte: »Guten Morgen, Berta.«
Es ist seine Stimme. Sie wendet sich um. Er steht vor ihr, jung, schlank, vornehm, etwas blaß, mit einem Lächeln, das nicht ganz ohne Spott scheint, und nickt ihr zu, indem er zugleich ihre Hand nimmt und eine Weile in der seinen behält. Er ist's, und es ist gerade, als wenn sie einander gestern das letztemal gesprochen hätten. »Grüß dich Gott, Emil,« sagt sie, und beide schauen einander an. In seinem Blick ist mancherlei: Vergnügen, Liebenswürdigkeit und irgend etwas Prüfendes. All das fühlt sie sehr genau, während sie ihn mit Augen anschaut, in denen nichts ist als lauteres Glück.
»Also wie geht's dir denn?« fragt er.
»Gut.«
»Komisch frag' ich eigentlich, nach acht oder neun Jahren. Es ist dir wahrscheinlich sehr verschieden ergangen.«
»Das ist schon wahr: Du weißt ja, daß mein Mann vor drei Jahren gestorben ist.« Sie fühlt sich verpflichtet, ein betrübtes Gesicht zu machen.
»Ja, das weiß ich; auch daß du einen Buben hast, weiß ich. Wer hat's mir denn nur erzählt?«
»Wer?«
»Na, es wird mir schon einfallen. Aber daß du dich für Bilder interessierst, ist mir neu.«
Sie lächelt. »Es war auch wirklich nicht wegen der Bilder allein. Aber für gar so dumm darfst du mich nicht halten. Ich interessier' mich schon für Bilder.«
»Ja, ich auch. Wenn ich die Wahrheit sagen soll: lieber als alles andere möcht' ich doch ein Maler sein.«
»Du könntest doch mit dem ganz zufrieden sein, was du erreicht hast.«
»Na, das ist nicht so mit einem Wort zu erledigen. Es ist mir ja ganz angenehm, daß ich schön Violin spielen kann, aber was bleibt davon übrig? Ich meine, wenn ich einmal tot bin, – höchstens mein Name auf kurze Zeit. Das –« seine Augen wiesen auf das Bild, vor dem sie standen – »das ist doch was anderes.«
»Du bist schrecklich ehrgeizig.«
Er sah sie an, aber ohne sich um sie zu kümmern. »Ehrgeiz? Na, so einfach ist das nicht. – Aber lassen wir das. Sonderbare Idee, theoretische Gespräche über Kunst zu führen, wenn man sich hundert Jahre lang nicht gesehen hat! Also red' doch was, Berta! Was machst du denn immer? Wie lebst du denn? Und was ist dir eigentlich eingefallen, mir zu dem dummen Orden zu gratulieren?«
Sie lächelte wieder. »Ich hab' dir wieder einmal schreiben wollen. Und hauptsächlich: ich hab' wieder einmal was von dir hören wollen. Wirklich sehr lieb, daß du mir gleich geantwortet hast.«
»Gar nicht lieb, mein Kind. Ich hab' mich so gefreut, wie plötzlich dein Brief – ich habe deine Schrift sofort erkannt. Du hast nämlich noch immer die Schulmädchenschrift, wie ... na, sagen wir: einst, obwohl ich solche Worte nicht gut leiden kann.«
»Warum denn?« fragte sie etwas
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