Erzaehlungen
daher kenn' ich dieses Bild. Ein gewisser Rupius; er ist schwer krank, denk' dir, ganz gelähmt.« Sie erschien sich verpflichtet, Emil das alles mitzuteilen, denn ihr war, als fragten seine Augen ununterbrochen.
Jetzt sagte er lächelnd: »Das wäre auch ein Kapitel. Es gibt ja bei euch gewiß auch Herren,« er setzte leiser hinzu, als schämte er sich ein wenig des unzarten Scherzes, »die nicht gelähmt sind.«
Ihr war es, als müßte sie den armen Herrn Rupius in Schutz nehmen, und sie sagte: »Er ist ein sehr unglücklicher Mensch.«
Sie erinnerte sich, wie sie gestern bei ihm auf dem Balkon gesessen, und großes Mitleid ergriff sie.
Aber Emil, der seinem eigenen Gedankengang folgte, sagte: »Ja, das möcht' ich eigentlich gern wissen, was du erlebt hast.«
»Du weißt's ja.«
»Ich meine, seit dem Tod deines Mannes.«
Sie verstand jetzt, was er meinte, und war ein wenig verletzt. »Ich lebe nur für meinen Buben,« sagte sie bestimmt. »Ich lasse mir nicht den Hof machen. Ich bin sehr anständig.«
Er mußte über die komisch ernste Art lachen, in der sie dieses Geständnis ihrer Tugend ablegte. Sie fühlte auch gleich, daß sie das hätte anders ausdrücken sollen, und so lachte sie mit.
»Wie lange bleibst du denn in Wien?« fragte Emil.
»Bis morgen oder übermorgen.«
»So kurz? Und wo wohnst du denn eigentlich?«
»Bei meiner Cousine«, erwiderte sie. Irgend etwas hielt sie davon ab, zu erwähnen, daß sie in einem Hotel abgestiegen wäre. Aber sie ärgerte sich gleich über diese dumme Lüge und wollte sich verbessern. Doch Emil sagte rasch:
»Du wirst wohl für mich auch ein wenig Zeit übrig haben, hoff' ich.«
»O ja.«
»Also da könnten wir ja gleich etwas besprechen.« Er sah auf die Uhr. »Oh!«
»Mußt du fort?« fragte sie.
»Ja, ich sollte eigentlich schon um zwölf ...«
fein heftiges Unbehagen überfiel sie, daß sie so bald wieder allein sein sollte, und sie sagte: »Ich habe Zeit, soviel du willst. Natürlich darf es nicht zu spät sein.«
»Ist deine Cousine so streng?«
»Aber –« sagte sie, »diesmal wohn' ich ja gar nicht bei ihr.«
Er sah sie verwundert an.
Sie wurde rot. »Nur sonst ... ich meine, manchmal ... weißt du, sie hat so viel Familie ...«
»Also du wohnst im Hotel,« sagte er etwas ungeduldig. »Nun, da bist du ja niemandem Rechenschaft schuldig, und wir können den Abend ganz gemütlich miteinander verbringen.«
»Aber sehr gern. Ich möchte keineswegs zu spät ... auch im Hotel möcht' ich nicht zu spät ...«
»Aber nein, wir werden einfach nachtmahlen und um zehn kannst du schon lange im Bett liegen.«
Sie schritten langsam die große Stiege hinab. »Also wenn's dir recht ist,« sagte Emil, »treffen wir uns um sieben Uhr.«
Sie wollte erwidern: »So spät?«, doch sie unterdrückte es, da sie ihres Vorsatzes gedachte, sich nichts zu vergeben. »Ja, um sieben.«
»Und zwar ... wo? .... Im Freien, denk' ich? Da können wir dann noch immer hin, wohin es uns beliebt, da liegt sozusagen das Leben vor uns ... ja.« Er schien ihr jetzt auffallend zerstreut. Sie gingen durch die Vorhalle. Am Ausgang blieben sie stehen. »Um sieben also – bei der Elisabethbrücke.«
»Ja, schön; um sieben bei der Elisabethbrücke.«
Vor ihnen lag im Mittagssonnenglanz der Platz mit dem Maria-Theresien-Denkmal. Es war warm, aber ein sehr heftiger Wind hatte sich erhoben. Es kam Berta vor, als wenn Emil sie prüfend betrachtete. Zugleich schien er ihr kühl und fremd, ein ganz anderer als drin vor den Bildern. Jetzt sprach er: »Nun wollen wir uns Adieu sagen.«
Sie fühlte sich wie unglücklich, daß er sie verlassen wollte. »Willst du mich nicht ... oder kann ich dich nicht ein Stück begleiten?«
»Ach nein,« sagte er. »Außerdem stürmt es so. Nebeneinandergehen und den Hut halten müssen, daß er nicht davonfliegt, ist ein mäßiges Vergnügen. Überhaupt redet sich's nicht gut auf der Straße, und dann muß ich mich auch so beeilen ... aber darf ich dich vielleicht zu einem Wagen bringen?«
»Nein, nein, ich gehe zu Fuß.«
»Kann man auch tun. Also grüß' dich Gott und auf Wiedersehen heute Abend.« Er reichte ihr die Hand und eilte rasch über den Platz davon. Sie sah ihm lang nach; er hatte den Hut abgenommen und hielt ihn in der Hand, während der Wind in seinen Haaren wühlte. Er ging über den Ring, dann durchs Burgtor und verschwand ihren Blicken.
Unwillkürlich war sie ihm sehr langsam nachgegangen. Warum war er plötzlich so kühl
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