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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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übrigens auch in meinem ersten Brief schon angedeutet war: ich kann leider über die nächsten Tage absolut nicht verfugen. Daß ich es mindestens so bedauere wie Du, kannst Du mir glauben. Nochmals tausend Dank und tausend Grüße, und auf ein schönes Wiedersehen das nächste Mal. Vergiß mich nicht ganz.
    Dein Emil.«

    Als sie diesen Brief gelesen, war sie ganz ruhig, bezahlte dem Dienstmann, was er forderte, und fand, daß es für ihre Verhältnisse gar nicht wenig sei. Dann setzte sie sich an den Tisch und versuchte nachzudenken. Sie wußte sofort, daß sie nicht länger hier bleiben könnte und bedauerte nur, daß nicht gleich ein Zug nach Hause ging. Auf dem Tisch stand die halbgeleerte Flasche Wein, Brotkrumen waren neben dem Teller verstreut, auf dem Bett lag ihre Frühjahrsjacke, daneben die Blumen, die er ihr noch heute morgens geschickt. Was sollte das alles bedeuten? War es zu Ende? .... Undeutlich, aber so, als müßt' es zu dem, was sie eben erlebt, eine Beziehung haben, fällt ihr ein Satz ein, den sie einmal gelesen, von Männern, die nichts anderes wollen, als »ihr Ziel erreichen« ... Aber das hat sie immer für eine Romanphrase gehalten. Im übrigen, das ist doch kein Abschiedsbrief, den sie da in der Hand hält? ... Ist es auch wirklich keiner? Können diese freundlichen Worte nicht auch Lüge sein? ... Auch Lüge – das ist es! ... Zum erstenmal drängt sich das entschiedene Wort in ihre Gedanken: ... Lüge ... Denn es ist gewiß, schon heut Nacht, als er sie nach Hause brachte, war sein Entschluß gefaßt, sie nicht wiederzusehen, und die Verabredung wegen des heutigen Tags, sein Wunsch, sie heute bei sich zu sehen, war Lüge ... Sie ruft sich den gestrigen Abend ins Gedächtnis zurück, und sie fragt sich, wodurch sie ihn verstimmt, enttäuscht haben konnte? ...Es war doch alles so schön, und er schien so glücklich, geradeso glücklich als sie .... Sollte das auch Lüge gewesen sein? ... Was konnte sie wissen? ... Vielleicht hatte sie ihn doch verstimmt, verletzt, ohne es zu ahnen ... Sie ist ja nichts als eine brave Frau gewesen ihr Leben lang ... wer weiß, was für eine Ungeschicklichkeit oder Dummheit sie begangen ... ob sie nicht in irgend einem Moment, wo sie hingebend, zärtlich, beseligt und beseligend zu sein glaubte, lächerlich und abstoßend gewesen ist? ... Was weiß sie denn von allen diesen Dingen? ... Und mit einem Mal fühlt sie beinah etwas wie Reue, daß sie sich in dieses Abenteuer so unvorbereitet eingelassen, daß sie bis gestern so keusch und brav gewesen ist, daß sie nicht andere Liebhaber vor ihm gehabt hat – Jetzt besinnt sie sich auch, wie er ihre schüchternen Fragen und Bitten abgewehrt, die sein Violinspiel betrafen, als wollte er sie diesen Kreis nicht betreten lassen. So war er ihr gerade in dem, was ihm tiefster Lebensinhalt war, fremd, mit Absicht fremd geblieben; sie wußte mit einem Mal, daß sie nichts mit ihm gemeinsam gehabt als das Vergnügen einer Nacht, und daß der heutige Morgen sie beide so fern voneinander gefunden, als alle die Jahre, die hinter ihnen lagen ... Und nun glüht die Eifersucht wieder in ihr auf ... Aber ihr ist, als wäre sie immer, als wäre überhaupt alles immer in ihr dagewesen ... Liebe und Mißtrauen und Hoffnung und Reue und Sehnsucht und Eifersucht ... und zum erstenmal in ihrem Leben ist sie so bis ins Innerste aufgewühlt, daß sie die Menschen begreift, die sich aus Verzweiflung zum Fenster hinunterstürzen ... Und sie sieht ein, daß sie es nicht ertragen, daß nur die Gewißheit ihr helfen kann ... sie muß hin zu ihm, ihn fragen ... aber so fragen, wie man einem ein Messer an die Brust setzt ...
    Sie eilt davon, auf die Straßen, die beinahe leer sind, als wäre ganz Wien aufs Land gewandert ... Wird sie ihn nur daheim finden? ... Wird er nicht vielleicht ahnen, daß sie auf den Einfall kommen kann, ihn aufzusuchen, ihn zur Rede zu stellen, und wird er nicht dieser Möglichkeit aus dem Weg gegangen sein? ... Sie schämt sich, daß sie auch daran denken muß ...... Und wenn er zu Hause ist, wird er allein sein? ... Und wenn er nicht allein ist, wird man sie vorlassen?
    Und wenn sie ihn selbst in den Armen einer anderen fände, was dürfte sie sagen? ..... Hat er ihr etwas versprochen? Hat er ihr Treue geschworen? Hat sie sie auch nur von ihm verlangt? Durfte sie sich einbilden, daß er hier in Wien gewartet hat, bis sie ihm zu seinem spanischen Orden gratuliert? ... Ja, durfte er ihr nicht sagen: Du hast dich

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