Erzaehlungen
war sie nur heute früh so gut gelaunt gewesen? ...... Ah, die schönen Tage in Wien! Ganz abgesehen von Emil – diese vollkommene Freiheit, dieses Herumflanieren in den Straßen, dieses Spazieren gehen im Volksgarten .... Allerdings, Geld hatte sie während dieser Zeit mehr ausgegeben, als ihr erlaubt war, das brachten zwei Dutzend Lektionen bei den Mahlmannischen Zwillingen nicht herein .... Und jetzt hieß es wieder: zurück zu den Verwandten, Stunde geben, und eigentlich wäre es sogar notwendig, sich noch nach neuen Lektionen umzuschauen, denn in diesem Jahr wollte die Rechnung gar nicht stimmen! .... Ah, was für ein Leben!
Auf der Straße begegnete Berta der Frau Martin. Diese fragte Berta, wie sie sich in Wien unterhalten habe, mit einem Blick, der deutlich ausdrückte: so gut wie ich mit meinem Mann unterhältst du dich ja doch nicht! Berta hatte eine unsägliche Lust, dieser Person ins Gesicht zu schreien: Mir ist es viel besser gegangen, als du ahnst. Ich bin in einem schönen, weichen Bett gelegen, mit einem entzückenden, jungen Mann, der tausendmal liebenswürdiger ist als dein Herr Gemahl! Und ich versteh' das alles gerade so gut wie du! Du hast nur einen Gatten, ich hab' aber einen Geliebten, Geliebten, Geliebten! ... Doch sie sagte natürlich nichts von alledem, sondern erzählte, daß sie mit ihrer Cousine und deren Kindern im Volksgarten spazieren gegangen sei.
Es begegneten ihr noch andere Frauen, mit denen sie oberflächlich bekannt war. Diesen gegenüber fühlte sie sich ganz anders als früher; freier, überlegener: sie war die einzige in der Stadt, die etwas erlebt hatte, und es tat ihr beinah leid, daß niemand etwas davon wußte, denn wenn man sie auch öffentlich verachtet, im Innern hätten sie alle diese Frauen unsäglich beneidet. Und wenn sie nun gar gewußt hätten, wer .... Obzwar, in diesem Nest kannten sicher viele nicht einmal seinen Namen. – Wenn es doch irgend jemanden auf der Welt gäbe, mit dem sie sich aussprechen könnte! ... Frau Rupius, ja Frau Rupius ... Aber die geht ja fort, auf Reisen! .... Eigentlich ist ihr das auch gleichgültig. Sie möchte nur wissen, wie das endlich mit Emil werden wird, sie möchte wissen, was es eigentlich war .... das ist die fürchterliche Unruhe in ihr .... Hat sie denn nun ein »Liebesverhältnis« mit ihm? .... Ah, warum ist sie nicht doch noch einmal zu ihm gegangen? .... Aber sie konnte ja nicht! ... Dieser Brief .... er wollte sie ja nicht sehen! ... Aber Blumen hatte er ihr doch geschickt ...
Nun ist sie wieder bei den Verwandten. Richard will ihr entgegen, sie in seiner scherzhaften Manier umarmen, sie stößt ihn weg; frecher Bub, denkt sie sich, ich weiß schon, wie er das meint, wenn er es auch selbst nicht weiß; ich verstehe diese Dinge, ich hab' einen Geliebten in Wien! ... Die Stunde nimmt ihren Gang; am Schluß spielen Elly und Richard vierhändig die Festouvertüre von Beethoven, was eine Überraschung zum Geburtstag des Vaters werden soll.
Berta dachte nur an Emil. Sie war nahe daran, verrückt zu werden über diesem elenden Geklimper .... Nein, es war nicht möglich, so weiter zu existieren, in keiner Hinsicht! .... Sie ist auch noch so jung .... Ja, das ist es, besonders das .... sie wird so nicht weiterleben können .... und das geht doch nicht, daß sie irgendeinen anderen .... Wie kann sie nur an so was denken! .... Sie ist doch eine ganz schlechte Person! – Wer weiß, ob es nicht das war, was Emil mit seiner großen Erfahrung an ihr herausgespürt hat – und warum er sie nicht mehr sehen will – Ach, die Frauen sind doch am besten dran, die alles leicht nehmen, die es fertig bringen, gleich nachdem sie einer sitzen gelassen – .... Aber was sind denn das wieder für Ideen! Hat er sie denn »sitzen lassen«? .... In drei, vier Tagen ist sie wieder in Wien, bei ihm, in seinen Armen! – Und drei Jahre hat sie so leben können? – Drei? .... – Sechs Jahre – Ihr ganzes Leben! .... Wenn er das nur wüßte, wenn er das nur glaubte!
Die Schwägerin tritt ein; sie fordert Berta auf, heute Abend bei ihnen zu nachtmahlen .... Ja, das ist die einzige Zerstreuung: einmal an einem anderen Tisch als dem häuslichen eine Mahlzeit einnehmen! – Wenn es doch einen Menschen hier gäbe, mit dem man reden könnte! ... Und Frau Rupius reist ab, verläßt ihren Mann .... Ob nicht doch eine Liebesgeschichte da mitspielt? ... Die Stunde ist zu Ende, Berta empfiehlt sich. Auch ihrer Schwägerin gegenüber hat sie das Gefühl
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