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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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als Aline und Mülling. Sie wich nicht einmal meinem Blick aus, als wir schieden.
    Sie reiste tatsächlich noch am gleichen Abend ab – allein – und brachte den Leichnam ihres Gatten am nächsten Morgen nach Wien. Am Tage darauf fand das Begräbnis statt, an dem natürlich auch ich teilnahm. Agathe war an diesem Tag für niemanden zu sehen. An den See kehrte sie niemals wieder zurück.
    Viele Jahre später begegneten wir einander wieder in Gesellschaft. Sie hatte indes wieder geheiratet. Niemand, der uns miteinander sprechen sah, hätte ahnen können, daß ein seltsames, tiefes, gemeinsames Erlebnis uns verband. Verband es uns wirklich? Ich selbst aber hätte jene sommerstille, unheimliche, und doch so glückliche Stunde für einen Traum halten können, den ich allein geträumt hatte; so klar, so erinnerungslos, so unschuldsvoll tauchte ihr Blick in den meinen.

Arthur Schnitzler
Flucht in die Finsternis

I

    Es klopfte; der Sektionsrat erwachte, und auf sein unwillkürliches »Herein« erschien ohne weiteres der Kellner mit dem regelmäßig für acht Uhr bestellten Frühstück in der Tür. Roberts erster Gedanke war, daß er gestern abend nun doch wieder vergessen hätte, die Tür zu versperren; aber er hatte kaum Zeit, einer Verstimmung über dieses neuerliche Zeichen von Zerstreutheit nachzugeben, da seine Aufmerksamkeit sofort durch die auf der Frühstückstasse neben Tee, Butter und Honig bereitliegenden Briefschaften in Anspruch genommen wurde. Unter anderen, gleichgültigeren fand er ein Schreiben seines Bruders vor, in dem dieser seiner Freude über das nahe bevorstehende Wiedersehen Ausdruck gab und nach Mitteilung unwesentlicher Familienneuigkeiten mit einer nicht unabsichtlichen Beiläufigkeit seiner kürzlich erfolgten Ernennung zum außerordentlichen Professor Erwähnung tat. Robert setzte eine herzliche Glückwunschdepesche auf und ließ sie ohne Verzug zum Amt befördern. Wenn auch Berufspflichten und andere Lebensumstände den persönlichen Verkehr zwischen den Brüdern oft für Tage und Wochen zu unterbrechen pflegten, es kam doch immer wieder ein Ereignis, das – oft gerade in seiner Geringfügigkeit – sie beide ihre Zusammengehörigkeit als unzweifelhaft und unauflöslich empfinden ließ. Dem jüngeren Bruder zumal wollten bei solchen Gelegenheiten alle anderen abgelaufenen und noch bestehenden Beziehungen seines Lebens, sogar seine frühe Ehe mit einer trefflichen, nun längst verstorbenen Frau, als solche von geringerem Rang erscheinen, und immer mehr glaubte er das Verhältnis von Bruder zu Bruder nicht nur für sich als den besten und reinsten Gewinn seines Daseins, sondern auch im allgemeineren Sinne als das einzige von natürlich gesicherter Beständigkeit zu erkennen; sicherer als das zu den Eltern, die man allzu früh in Alter und Tod entschwinden sieht, fester als das zu den Kindern, die man, wie Robert freilich für seine Person niemals erfahren hatte, wenn nicht an andere Menschen, so doch an ihre eigene Jugend zu verlieren bestimmt ist; vor allem aber blieb es jederzeit frei von jenen Trübungen, die, unerwartet aus dunklen Seelengründen aufsteigend, über die Beziehungen zwischen Mann und Weib wolkenhaft heraufzuziehen pflegen.
    So nahm Robert des Bruders Brief, der gerade heute, am Tage seiner Abreise, anlangte, wie ein günstiges Vorzeichen entgegen und fühlte sich in seinen Hoffnungen für die Zukunft, in die er nach einer unruhvollen Zeit wie in eine neue Epoche seines Daseins treten sollte, wunderbar gestärkt.
    Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als Robert fertig gepackt hatte und sein Zimmer verließ. Es war die Stunde, da die meisten Gäste sich im Bad oder auf Spaziergängen befanden und es grade im näheren Umkreis des Hotels am stillsten war. Robert trat auf den breiten steinernen, weit ins Wasser laufenden Landungssteg, an den gelehnt der kleine helle Dampfer seine Mittagsrast hielt, blickte zu den wenigen, fast unbeweglichen, weißen, gelben und rötlichen Segeln hin, die im Kanal erglänzten, und ließ seine Augen endlich nordwärts gleiten, wo die Enge, allmählich sich verbreiternd, das offene Meer ahnen ließ. Er nahm den Hut ab, um sich die Sonne grade auf den Scheitel brennen zu lassen, atmete tief mit geöffneten Lippen, um den Salzgeschmack auf der Zunge zu spüren, und freute sich der linden Luft, die auf dieser südlichen Insel auch an solchen Spätoktobertagen oft noch mit sommerlicher Wärme schmeichelte. Allmählich kam ihm das Gefühl, als wäre der

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