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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Moment, den er eben durchlebte, in Wirklichkeit längst vergangen und er selbst, so wie er eben dastand – auf dem Landungssteg, den Hut in der Hand, mit geöffneten Lippen –, ein verschwimmendes Bild seiner eigenen Erinnerung. Er hätte gewünscht, dieses Gefühl, das ihn keineswegs zum erstenmal und durchaus nicht als ein unheimliches, sondern eher als ein erlösendes überkam, länger festhalten zu können; aber mit dem Wunsche selbst war es auch geschwunden. Und nun war ihm, als hätte er mit der Gegenwart sich entzweit; Himmel, Meer und Luft waren fremd, kühl und fern geworden, und ein blühender Augenblick welkte dürftig dahin.
    Robert verließ den Steg und beschritt einen der schmalen, wenig begangenen Pfade, die unter Kiefern und Steineichen, zwischen wildwachsendem Gestrüpp, ins Innere der Insel führten. Doch auch die Landschaft schien ihm duftlos, trocken und ihres gewohnten Reizes wie entkleidet. Er freute sich jetzt, daß die Stunde der Abreise nahe war, und in seiner Seele tauchten höchst lebendige Bilder von winterlich-städtischen Vergnügungen auf, nach denen ihn schon lange nicht mehr verlangt hatte. Er sah sich im Theater, auf einem bequemen Samtsessel, der Betrachtung eines heiteren Bühnenspiels hingegeben, sah sich durch hellbeleuchtete, menschenerfüllte Straßen wandeln, zwischen lockenden Auslagefenstern mit köstlichen Juwelen und Lederwaren; und endlich erschien ihm seine eigene Gestalt, ein wenig aufgefrischt und verjüngt, im stillen Winkel eines behaglichvornehmen Restaurants an der Seite eines weiblichen Wesens, dem seine Phantasie unwillkürlich Albertens anmutige Züge verlieh. Zum erstenmal seit der Trennung dachte er ihrer heute mit einiger Wehmut; er fragte sich, ob es sonderlich klug gewesen war, sie widerstandslos dem jungen Amerikaner zu überlassen, dessen sie, der gefährlichen Nähe entrückt, nach wenigen Tagen gewiß nicht mehr gedacht hätte, und er überlegte, ob es in jenem abendlichen Waldgespräch am Vierwaldstätter See nicht vielmehr seine Pflicht gewesen wäre, die Freundin zu warnen – statt ihr zur Annahme eines Heiratsantrages zu raten, der, trotz aller leidenschaftlichen Bestimmtheit, als Ergebnis einer Bekanntschaft von nur wenigen Tagen doch einigermaßen verdächtig erschien. Freilich täuschte sich Robert auch darüber nicht, daß sein augenblickliches Mißbehagen viel weniger aus solchen verspäteten Gewissenszweifeln als aus der dankbaren und nun beinahe schmerzlich erwachenden Erinnerung seiner Sinne floß.
    Verspätet ins Hotel zurückgekehrt, nahm er sein Mittagessen wie immer allein an einem der breiten Saalfenster mit dem Blick aufs Meer. Nachher verabschiedete er sich höflich von einigen Badebekanntschaften und ließ sich endlich für eine kurze Weile am Tisch der Damen Rolf nieder, die auf der Uferterrasse ihren Nachmittagskaffee tranken. Fräulein Paula, der Robert während seines Aufenthalts auf der Insel keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wie ihm überhaupt der Verkehr mit unverheirateten Damen aus guter Familie wenig zusagte, betrachtete ihn heute mit einer Teilnahme, die ihn nachdenklich stimmte. Als er zum Abschied nicht nur der noch immer schönen, etwas hoheitsvollen Mutter, sondern, gegen seine Gewohnheit, auch der Tochter die Hand küßte, fühlte er auf seiner Stirn den warmen Glanz eines freundschaftlich-nahen Blickes ruhen, der gleichsam dunkler wurde, als ihm Roberts Augen begegneten.
    Er begab sich ins Klavierzimmer, griff ein paar Akkorde auf dem verstimmten Flügel, verließ aber bald wieder den Raum, hinter dessen herabgelassenen Vorhängen der schwüle Nachmittag dunstete; und auf dem weißen, strahlenden Uferkies hin und her wandelnd, empfand er peinlich die unergründliche Leere jener nutzlosen Stunden vor einer festgesetzten Abreise. Daher entschied er sich, statt abends mit dem regelmäßigen Dampfer, lieber gleich mit einem der kleinen Motorboote, noch im vollen Licht, die kurze Strecke übers Meer zu fahren, und wanderte bis kurz vor Abgang des Zuges in den winklig-hügeligen Straßen der Hafenstadt umher, deren Altertümer zu besichtigen er sich täglich vorgenommen hatte, um es ebensooft und endlich bis zur letzten Stunde aufzuschieben. Als er auf den obersten verwitterten Stufen der Arena stand, vom entweichenden Tagesschein umflossen, stieg, gleich einer dunklen Mahnung, aus der Tiefe des ungeheuren Kreises der Abend zu ihm empor.

II

    Als der Zug den Bahnhof verließ, verweilte Robert am Fenster

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