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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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vorstellten. Doch er erwähnte als Beispiel nicht den Traum der verflossenen Nacht, sondern einen aus längst verflossener Zeit, in dem er auf weiter Ebene eine Art von Schlacht gesehen, aber in so trüb-fahlem Lichte, daß er die beteiligten Kämpfer weder einzeln, noch als Ganzes wahrzunehmen vermochte. Dann aber hatte er am Firmament statt der Sonne einen schief gestellten, mit Organtin verhängten, gelb flimmernden Lüster erblickt und plötzlich gewußt, daß dieser Lüster und nicht jenes fahle Bild auf der Ebene die Schlacht bedeutete. Paula hatte den Kragen ihrer weißen Wolljacke aufgestellt, ihr Gesicht war von der frischen Luft gerötet. Plötzlich, mit jener überraschenden Wendung des Kopfes, die Robert schon an ihr kannte und beinahe liebte, wandte sie sich zu ihm: »Beschäftigen Sie sich nicht ein bißchen zu viel mit sich selbst?« – »Ich glaube nicht«, erwiderte Robert betroffen. »Vielleicht gesteh' ich's nur aufrichtiger zu als andere.« Und er fragte sich: Wenn ich ihr früher begegnet wäre, hätte es mir geholfen? Wäre ich ein anderer geworden, ein Gesünderer, ein Besserer, als ich heute bin? War mir mein Dasein von Beginn an vorgezeichnet? Oder hab' ich irgendeinmal die Wahl gehabt – die Wahl zwischen Schwäche und Stärke, zwischen Gesundheit und Kranksein, zwischen Klarheit und Verwirrung? Aber war denn schon etwas entschieden? Nein. Untrüglich wußte er's mit einemmal, daß ihm die Wahl noch immer in die Hand gegeben war; aber freilich nicht mehr für lange ...
    Der Wagen hatte sich gewandt, und nun ging es rasch bergab. Robert sprach von Amtsgeschäften, die ihn erwarteten, von seinem Interesse für die Forderungen seines Berufs – so lebhaft, als läge es ihm daran, merken zu lassen, daß er mit beiden Füßen auf festem Boden stand und keineswegs ein Träumer oder weiß Gott was noch Schlimmeres sei. Und Paulas kluge Fragen lockten ihm so entschiedene Antworten auf die Lippen, daß ihn während dieses Gesprächs, das sich bei Tisch mit erhöhtem Ernst fortsetzte, eine immer echtere Sehnsucht nach Arbeit und Betätigung überkam. Die steigende Aufmerksamkeit in Paulas Mienen, ihr beifälliges Nicken wurden ihm zu günstigster Vorbedeutung, und ihren Händedruck beim Abschied, ihren milden, gütigen Blick nahm er beinahe wie ein Versprechen mit sich.
    Es war ihm zumute wie einem Genesenden. Für die Einbildungen, die ihn vor wenigen Tagen, ja, gestern noch gequält, glaubte er eine neue und nahezu beruhigende Erklärung gefunden zu haben. Von seinem eigenen Leben gleichsam im Stich gelassen, im Innersten leer geworden, hatte er allzu willig, ja, mit einer gewissen Selbstgefälligkeit eine Art Rolle für sich zu spielen begonnen, die wachsende Gewalt über ihn erlangt und allmählich gedroht hatte, sein innerstes Wesen zu verstören. Nun aber reckte er die Stirn hervor wie aus gefährlichem Nebeldunst und fühlte den Willen und die Kraft in sich, wieder gesund und – endlich wahr zu werden.
    Zum Abendessen erschienen die Damen nicht, und Robert nahm an, daß sie sich beide, ermüdet, vorzeitig auf ihr Zimmer zurückgezogen hatten. Trotzdem gab er die Hoffnung nicht auf, daß Pauk sich vielleicht später noch in der Halle zeigen würde, und blätterte geraume Zeit in illustrierten Wochenschriften, die er sonst selten zur Hand zu nehmen pflegte. Doch seine Erwartung erfüllte sich nicht, die Halle leerte sich, und es blieb Robert nichts übrig, als gleich den anderen Gästen zur Ruhe zu gehen.
    Vorher aber hielt er sich, wie um nach Briefen zu fragen, an der Loge des Portiers auf, von dessen Eigenheit, sieh zu den Gästen des Hotels in ein persönliches, ja, herzliches Verhältnis zu setzen auch er schon manche Probe erhalten und von dem er daher vielleicht Aufklärung erhoffen durfte. Und tatsächlich ward ihm, bei Übergabe des Zimmerschlüssels, in leicht bedauerndem Tone die Mitteilung, daß die Damen Rolf auf ein Telegramm hin mit dem Sieben-Uhr-Zug plötzlich abgereist seien. Sie ließen sich dem Herrn Sektionsrat bestens empfehlen, fügte der Portier hinzu, während er mit Beflissenheit auf Ansichtskarten Marken klebte.
    »Ein Telegramm«, wiederholte Robert wie abwesend, blieb noch eine Weile stehen, dann faßte er sich und begab sich aufsein Zimmer. Er machte Licht und ging hin und her. »Ein Telegramm«, sagte er nochmals vor sich hin. Was für eine Art von Telegramm mochte das sein? Und schon wußte er's: Sie waren vor ihm gewarnt worden. Der besorgte Vater hatte sie

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