Erzaehlungen
eilends zurückberufen. »Die Damen lassen sich empfehlen –?« Eine freundliche Erfindung des Portiers. Über Hals und Kopf waren sie geflohen.
Offenbar waren schon Gerüchte über ihn in Umlauf. Gerüchte nur –? Vielleicht wird er schon verfolgt, bewacht, tat von Detektiven umgeben; und morgen früh wird man ihn verhaften. Und wenn er auch unschuldig ist, wie kann er es beweisen? Alberta ist in Amerika oder weiß Gott wo – wer wird ihm glauben, daß er sie nicht umgebracht hat? Vielleicht ist auch schon der Verdacht ausgesprochen worden, daß er seine Frau vergiftet hat. Wird man den Leichnam ausgraben? Wird man nach Giftspuren forschen? Wenn sich keine finden – was hilft's nach so langer Zeit –? Plötzlich sah er sein eigenes Porträt vor sich, mit Überzieher, Zylinder und Stock, so wie er sich in Wirklichkeit niemals hatte photographieren lassen; ganz in der Art eines nachlässig vervielfältigten Bildes in einer Tageszeitung, und darunter las er mit großen Lettern die Worte: Ein neuer Blaubart. Er roch das Papier und die Druckerschwärze. Gleich darauf sah er sich vor Gericht stehen als Angeklagten. Er leugnete. Er schwor zu Gott, daß er niemals einen Menschen umgebracht habe. Es ist nur ein Wahn von mir, meine Herren Geschworenen. Wie darf man mich denn wegen eines Wahns vor Gericht stellen? Ich bin krank, meine Herren Geschworenen, aber ich bin kein Verbrecher. Die Umstände sprechen gegen mich. Forschen Sie nach, meine Herren. Alberta ist in Amerika verheiratet, und meine Frau war herzleidend. Sie ist eines natürlichen Todes gestorben. Und wie, schrillte plötzlich eine hohe Stimme, erklären Sie sich, Angeklagter, daß Ihre Geliebte unter welkem Laube im Walde tot gefunden wurde? – Man hat sie tot gefunden? Dann hat sie ein anderer umgebracht. Der Amerikaner hat es getan. – Sie verwickeln sich in Widersprüche, Angeklagter. Haben Sie uns nicht selbst erzählt, daß dieser Amerikaner sich um Ihre Geliebte bewarb und daß Sie mit ihr in den Wald spazierten, während der Amerikaner im Hotel zurückblieb? Sie erzählten uns ferner, daß das Klavierspiel Ihrer Gattin Sie zur Verzweiflung brachte und daß Sie sich längst mit Mordgedanken getragen hatten. – Ich habe nichts erzählt, man legt mir Dinge in den Mund, die ich nie gesagt habe. Ich bin unschuldig. Ich kann keiner Fliege ein Haar krümmen. – Ein dröhnendes Lachen geht durch das ganze Auditorium, daß alle Fenster klirren. Ich bitte um Ruhe, schreit der Richter, hier ist kein Theater. Ich werde den Saal räumen lassen.
Robert, der ununterbrochen im Zimmer hin und her gelaufen war, blieb stehen, sah rings um sich, und wie es ihm meistens geschah, grade, wenn die Flucht seiner Gedanken sich ins Abgeschmackt-Unsinnige verloren hatte, kam er jählings zur Besinnung. Er sagte sich, daß die Abreise der Damen unmöglich in irgendeiner Beziehung zu seiner Anwesenheit hier oben stehen könne. Er wußte, daß er weder schuldig, noch irgendeinem Menschen auf der Welt verdächtig war. Seine Nerven waren noch immer nicht in Ordnung, das war alles. Keineswegs aber war Paula das Geschöpf, auf ein unklares, verleumderisches Telegramm hin davonzufahren und ihn seinem Schicksal zu überlassen. Sie wäre nicht abgereist, ohne ihn gesprochen zu haben; was immer man ihr hinterbracht, sie hätte versucht, mit eigener Urteilskraft der Angelegenheit auf den Grund zu kommen. Und selbst den Fall gesetzt, er hätte jemals in seinem Leben ein Verbrechen begangen, sie war die Frau, es zu verstehen und es zu verzeihen. Übrigens ... kam das alles nicht in Betracht. Gründe für die Abreise der Damen könnte es zu Dutzenden geben. Der Vater war erkrankt, oder sonst wer aus der Familie. Gewiß nichts Bedenkliches, sonst hätte man kaum daran gedacht, ihn grüßen zu lassen. Ich bin kein Mörder, und kein Mensch denkt von mir, daß ich einer sein könnte. Morgen kommt ein Brief von Paula, eine Entschuldigung, eine Erklärung. Und wenn nicht – so verschaffe ich sie mir selber. Ich bin ja frei, ich bin ja nicht eingesperrt, und Höhnburg ist lange tot Was geht mich Höhnburg an? Mein Bruder denkt nicht daran, mir den Schuldschein vorzuweisen. Es gibt weder Schein noch Schuld ... Ich habe die Wahl ...
VIII
Am nächsten Morgen kündigte Doktor Leinbach durch eine vergnügte Karte seinen Besuch für denselben Tag an. Robert, der mit ruhigen Sinnen erwacht war, entschloß sich, ihm entgegenzugehen. Auf der breiten Waldstraße, im kühlen Herbstschatten der
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