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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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das gleiche, das ihm neulich nachts aus dem Spiegel entgegengestarrt hatte, sein eigenes, blaß, mit weitaufgerissenen Augen und um die Lippen einen schmerzlich entsetzten Zug. Diese Ähnlichkeit war so außerordentlich, so zwingend, daß ihn der Gedanke durchzuckte, ob es nicht wirklich das Bild seines Bruders und nicht sein eigenes gewesen war, das ihm damals warnend oder drohend aus dem Spiegel entgegengeblickt hatte. War es vielleicht die ewige Macht der Blutsverwandtschaft gewesen, die in einem bedeutungsvollen Augenblick durch ein solches geheimnisvolles Zeichen sich bestätigte?
    Es war nur natürlich, daß der Ausdruck in Ottos Mienen sich sofort änderte, da er sich beobachtet, ja entdeckt fühlen mußte. Ein Lächeln, allerdings dem Grinsen nah verwandt, erschien auf seinen Lippen, und befangen sagte er: »Ja, mein Lieber, ferne Zeiten, ferne Zeiten. Wie lange könnte man so weiterplaudern ...! Aber leider –« Er brach ab, klappte das Eintragebuch zu, rückte Bücher und Papiere auf dem Schreibtisch zurecht, griff seiner Gewohnheit nach an die Brusttasche nach dem Notizbuch, dann wandte er sich wieder zu Robert, der sich gleichfalls erhoben hatte. »Warst du übrigens schon bei den Kindern, bei Marianne?« Robert schüttelte den Kopf. Otto fuhr mit offenbarer Beflissenheit fort: »Habe ich dir schon gesagt, daß Marianne von Paula geradezu schwärmt?« Er hatte geklingelt und fragte den eintretenden Diener, ob Marianne zu Hause sei. Sie war fortgegangen, und Robert begleitete den Bruder ins Zimmer der Kinder, die eben ihr Abendessen erhielten und es gär nicht hübsch vom Onkel fanden, daß er grade nur hereinkam, um ihnen gute Nacht zu wünschen, und sie gleich wieder mit dem Vater, dessen Eile sie freilich gewohnt waren, verließ.
    Auf der Treppe sprach Otto die Erwartung aus, Robert mit seiner Braut recht bald wieder an einem gemütlichen Abend bei sich zu sehen. »Sehr gern«, erwiderte Robert. Aber bei sich dachte er: Ich werde mich wohl hüten. Wozu? Um mich wieder von einem sogenannten Fachmann beobachten zu lassen? – »Und ihr werdet hoffentlich auch einmal bei uns zusammen musizieren«, sagte Otto. »Deine Braut soll ja so schön Geige spielen.« Aus dem Wagen noch nickte er dem Bruder einen Gruß zu, den dieser mit einem heiteren Lächeln erwiderte.
    Es ist die höchste Zeit, Vorkehrungen zu treffen, dachte Robert im Weitergehen. Er ist der berühmte Arzt, niemand wird an der Richtigkeit seiner Diagnose zweifeln. Bis die Wahrheit an den Tag kommt, ist es zu spät. Indes kann ich im Irrenhaus längst wirklich verrückt geworden sein. Ob es nicht das klügste wäre, für einige Zeit aus Ottos Gesichtskreis zu entschwinden? Es wäre nicht undenkbar, daß sich dann sein Wahn gewissermaßen von mir loslöste, sich auf etwas anderes einstellte. Ich selbst habe ja mit mir Ähnliches erlebt, als ich noch an meinen Zwangsvorstellungen litt. Aus den Augen, aus dem Sinn – aus den Augen, aus dem Wahnsinn, könnte man vielleicht sagen. Aber ich werde nicht allein wegfahren, nein, ich werde Paula mit mir nehmen. Wird sie bereit sein? Gewiß! Sie ist zu allem bereit, was ich wünsche, es kostet mich nur ein Wort.
    Paula hatte ihn mit Unruhe erwartet. »Wo bist du den ganzen Tag gewesen?« fragte sie. Er war verwundert, denn daran, daß er heute morgen das Amt versäumt, hatte er längst nicht mehr gedacht. Nun stellte sich heraus, daß Paula ihn vormittags im Büro vergeblich angerufen, dann in seinem Gasthof angefragt und sich nachmittags zweimal telephonisch bei seinem Bruder erkundigt hatte, ob er dort etwa vorgesprochen. Robert fand es höchst sonderbar, daß Otto ihm gegenüber davon nicht einmal Erwähnung getan, aber er sagte sich gleich, daß es galt, weder Mißtrauen noch Verlegenheit zu zeigen. So machte er denn in humoristischer Weise den ertappten Sünder und gestand, daß er wie in seligen Kinderzeiten eine unbezwingliche Lust verspürt habe, Schule zu stürzen, und in aller Frühe über Land gefahren sei.
    Paula schien sich gern überzeugen zu lassen und begnügte sich mit leichten Vorwürfen, warum er sie von seinem Vorsatz nicht verständigt und sie nicht aufs Land mitgenommen habe. Sie saßen, wie es jetzt manchmal der Fall war, in Paulas anmutigem, ganz in Weiß gehaltenem Mädchenzimmer, wo von einer verhängten Deckenlampe über Bilder und Teppiche ein mildrötliches Licht fiel. Robert zog Paula zärtlich in seine Arme; doch er war zerstreut; unklare Fluchtpläne zogen ihm durch den

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