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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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lassen, und ihres gegebenen Wortes nicht achtend, in ihrer Erregung hatte sie getan, was sie zuallerletzt hätte tun dürfen, sie war zu Otto geeilt und hatte ihm alles verraten. Ja, so war es. Er konnte nicht daran zweifeln. Paula hatte ihn verraten – und ausgeliefert. Was wird die Folge sein? fragte er sich weiter. Otto hat neue Schein gründe, an meine Verrücktheit zu glauben, sein eigener Wahn findet neue Nahrung, und es kostet ihn nicht die geringste Mühe, Paula und jeden beliebigen anderen Menschen von der Berechtigung seines Verdachtes zu überzeugen. Welche Torheit, daß ich Paula aus den Augen gelassen, daß ich sie nicht gleich mit mir genommen habe. Nun steht alles schlimmer als vorher. – Otto weiß, wo ich bin. Er wird mir nachfahren; grade durch meine Flucht hab' ich ihn auf meine Spur gelockt. Er hält die Stunde für gekommen, in der er verpflichtet ist, sein Wort einzulösen, ich schwebe in der furchtbarsten Gefahr, und das Spiel ist für mich verloren!
    Während er all dies erwog, aß und trank er anscheinend in größter Seelenruhe weiter und merkte mit leisem Staunen, daß all seine Gedanken kühl und kaum von Angst betont durch seine Seele zogen. Irgend etwas freilich mußte geschehen. Doch mehr aus natürlichen Verstandesfolgerungen, als aus einem Gefühl von Furcht ergab es sich für ihn, daß er keineswegs hierbleiben, daß er in jedem Falle weiterfliehen müßte. Die Frage war nur – wohin? Wären ihm die Verfolger nicht morgen schon auf der Spur, so würden sie es in wenigen Tagen sein; und selbst wenn es ihm gelänge, das Land, ja den Kontinent zu verlassen und die Neue Welt zu erreichen – vor der fixen Idee eines Wahnsinnigen war er doch nirgends in Sicherheit, und am Ende konnte ihn dieses Bewußtsein dauernder Gefahr und ewigen Verfolgtseins in Wirklichkeit um den Verstand bringen, so daß er die anderen ins Recht gesetzt, seinem Bruder gewissermaßen in die Hände gearbeitet und – ein teuflischer Witz des Schicksals – dessen Wahnidee bestätigt hätte.
    Er verließ das Gasthofzimmer und spazierte draußen auf dem menschenleeren beschneiten Marktplatz hin und her, sehr gemächlich, eine Zigarre im Munde, so daß er jedem, der ihn so gesehen, als ein sorgloser Wintertourist hätte erscheinen müssen. Plötzlich fielen ihm die Aufzeichnungen wieder ein, die er am Abend niedergeschrieben hatte. Könnt' ich's nicht wagen, mit ihrer Hilfe den Kampf aufzunehmen? fragte er sich. Wer diese Aufzeichnungen liest, kann mich nicht mehr für wahnsinnig halten. Aber ich werde das Ganze noch einmal schreiben, ausführlicher und verständlicher. Morgen mit dem ersten Zug fahre ich weiter, gehe dann an einer Zweigstation auf eine andere Strecke über, irgendwohin, wo mich niemand vermutet, und dort setze ich meine Anklage- oder meine Verteidigungsschrift sorgfältig auf. Anklage oder Verteidigung? Ja, was ist es eigentlich? Und er grübelte nach. Wie ein blasses Gespenst schwebte ihm die Gestalt jener armen Klavierlehrerin durch den Sinn, mit der er seine letzte trübselige Liebesnacht verbracht hatte, und wieder regte sich der seltsame Zweifel in ihm, ob in jener Begegnung sich nicht das Leben zum letztenmal mit einer Frage an ihn gerichtet, die er gedankenlos, ja grausam beantwortet hatte. Er erlebte es noch einmal in der Erinnerung, wie das einsame Geschöpf aus dem davonfahrenden Wagen sich nach ihm umgewandt, ihm traurig-ernst zugenickt und wie er selbst ihr ungerührt und herzenskalt nachgeblickt hatte. Doch sah er sich völlig anders, als er in jenem Augenblick und überhaupt jemals ausgesehen haben konnte. Übergroß und hager stand er da in einem fliegenden dunklen Mantel und warf einen schwarzen Schatten weit vor sich hin. Diesen Schatten aber nahm er jetzt tatsächlich wahr, da er grade an der Laterne vorüberging, deren Licht gelblichtrüb über dem Eingang des Gasthofs schimmerte.
    Er trat ins Haustor und fragte für alle Fälle nochmals, ob nicht eine Depesche für ihn gekommen sei. Der Wirt klärte ihn auf, daß es in diesem kleinen Orte von sieben Uhr abends bis sieben Uhr früh keinen Telegraphendienst gäbe. Nun kam Robert auf seine erste Vermutung zurück, daß Paula den Zug versäumt haben könne; und so durfte er noch immer mit der Möglichkeit ihres Eintreffens um zwei Uhr nachts rechnen.
    Er suchte sein Zimmer auf und legte sich unausgekleidet aufs Bett. Eine Stunde wollte er ruhen, denn Mitternacht war vorüber, und sich dann wieder an den Bahnhof begeben. Er löschte

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