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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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»Ahnung eigener Mitschuld an der Wahnidee meines Bruders. Wir beide vielleicht Erscheinungsformen ein und derselben göttlichen Idee? Einer von uns beiden mußte ins Dunkel. Es ward über ihn verhängt, obwohl früher meine Schale hinüberneigte.« Er verschloß das Geschriebene in der Reisetasche, verließ das Zimmer und begab sich ins Freie.
    Hinter den angelaufenen Fenstern der Wirtsstube saß eine kleine Gesellschaft Einheimischer beim Bier, und er hörte ihr lautes Reden auf den Platz heraus. Er spazierte weiter und begegnete nur wenigen, meist bäuerisch gekleideten Menschen. In der Allee am Fluß auf einer Bank saß, der Kälte nicht achtend, in enger Umschlingung ein junges Paar. Und jetzt erst, mit fliegender Glut, kam ihm zum Bewußtsein, daß er die Geliebte erwartete. In einer Stunde wird sie dasein, sagte er sich, und es ist mir bis zu diesem Augenblick nicht recht zu Bewußtsein gekommen. Wie wird alles licht sein, wenn ich sie wiederhabe. Seit ich heute mittag von ihr Abschied nahm, ist doch alles wie ein Traum gewesen – mein ganzes Leben habe ich indes durchgeträumt, und darum scheint es mir auch so unendlich lange her, daß ich Paula verlassen habe, länger fast als seit dem Tag, an dem ich hier in dieser selben Allee mit Alberta spazierenging.
    Er überschritt die Brücke, und bald darauf wandelte er auf dem Perron längs der Gleise auf und ab. Weit hinaus ins Dunkel liefen die schwärzen schnurgraden Schienen ihre weiße Bahn. Der Stationschef ging vorbei und grüßte höflich. Irgendwoher kam ein Ton wie von singenden Drähten. Ganz nahe streckten die Felsen sich ins Blau der Nacht. Welch ein Friede hier, dachte Robert. Am Ende kann doch noch alles gut werden? Ob in einem solchen Frieden nicht auch Otto genesen könnte? Er muß wieder gesund werden! Er muß! Hätte ich selber denn noch eine ruhige Stunde, ja, vermöchte ich weiter zu atmen, wenn er nicht wieder gesund würde? Und er wußte, daß kein Mensch auf Erden lebte, der ihm teuerer war als Otto – fühlte wieder einmal, daß es kein Verhältnis von so innerster, naturgewollter Beständigkeit gab als das von Bruder zu Bruder, daß es tiefer mit den Wurzeln alles Seins verschlungen war als das zu Eltern, Kindern und Geliebten; und er war entschlossen, des Verhängnisses Herr zu werden, das diese geheimnisvollsten und zugleich stärksten aller Bande zwischen Mensch und Mensch zu zerreißen drohte.
    Ein fernes Pfeifen ertönte, klang immer näher, die Geräusche des herankommenden Zuges verstärkten sich, schwarz, pfauchend fuhr er ein. Ein Herr in kurzem Jagdpelz stieg aus, dann zwei Bauern und eine alte Frau. Ein Träger kam gelaufen, nahm mit devotem Gruß dem Herrn im Jagdpelz das Gepäck ab; ein Pfiff, der Zug setzte sich wieder in Bewegung, fuhr ins Dunkle und verschwand.
    Robert stand da, sah ihn verschwinden und verstand nicht recht. Nach einiger Zeit erst verließ er den Bahnhof, äußerlich ruhig und zu seiner eigenen Verwunderung auch innerlich nicht allzusehr enttäuscht. – Langsam ging er nach dem Gasthof zurück und sagte sich: Ich werde ein Telegramm vorfinden, oder es kommt eines im Laufe der nächsten Stunden. Entweder hat Paula den Zug versäumt, oder sie hat triftige Gründe, einen späteren zu nehmen. Und wahrscheinlich wird sie erst morgen mittag kommen, nicht nachts um zwei Uhr. Dies war nämlich die Stunde, in der der nächste Zug eintreffen sollte.
    Es war kein Telegramm da. Robert trat in das niedrige gewölbte Gastzimmer, an dessen Fenster noch immer, von Rauchdunst umgeben, jene einheimische, bäuerische Gesellschaft zusammensaß. An einem anderen Tisch, ganz allein, saß ein alter Herr, der seine Pfeife rauchte und mit trüben Augen, offenbar ohne zu lesen, in eine Zeitung starrte. Robert, ohne daß die anderen sich um ihn kümmerten, setzte sich in eine Ecke, bestellte ein Abendessen, das er sich vorzüglich schmecken ließ, und überlegte. Bald kam er zu der Überzeugung, daß seine früheren Vermutungen nichts anderes gewesen waren als Selbstbetrug. Wäre Paula ernstlich gewillt gewesen, ihm zu folgen, nichts hätte sie hindern können, zur rechten Zeit dazusein. Aber sie hatte nicht gewollt, sie war nicht gekommen, sie hatte ihn im Stich gelassen. Und er wußte auch, warum. Seine lächerliche Erzählung von dem eifersüchtigen Amerikaner, sein ganzes Benehmen heute beim Abschied war ihr sonderbar und verdächtig erschienen. Mit der den Frauen eigenen Verstellungskunst hatte sie ihn nichts davon merken

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