Erzählungen
Aufwallungen ihres heftigen Schmerzes zu bezwingen. Als James Playfair sah, daß sie sich ein wenig erholt hatte, neigte er sich herab und flüsterte ihr zu:
»Jenny, in zwei Stunden wird Ihr Vater in Sicherheit und hier bei Ihnen sein, und wenn ich meinen Tod bei seiner Rettung finden sollte.«
Dann verließ er die Cajüte und sprach vor sich hin:
»Jetzt muß er um jeden Preis entführt werden und wenn seine Freiheit mit meinem Leben und mit meiner ganzen Mannschaft erkauft würde!«
Endlich war die entscheidende Stunde gekommen; der Delphin hatte am Morgen den letzten Theil seiner Baumwollenladung eingenommen, und alle Kohlenkammern waren mit Brennmaterial angefüllt. In zwei Stunden konnte das Schiff die Anker lichten; James Playfair hatte es bereits aus dem »North-Commercial-Wharf« herausgelootst und auf die Rhede gebracht, und so wie die Fluth, die um neun Uhr Abends voll sein mußte, eintrat, konnte die Reise vor sich gehen.
Als James Playfair Miß Halliburli verließ, schlug es gerade sieben Uhr; die Vorbereitungen zur Abfahrt mußten in’s Werk gesetzt werden. Bis jetzt war das Geheimniß zwischen ihm, Jenny und Crockston strenge gewahrt worden, aber nun hielt er es für geeignet, Mr. Mathew in die Situation einzuweihen, und er that dies sofort.
»Zu Befehl, antwortete Mr. Mathew, ohne die geringste weitere Bemerkung zu machen. Also um neun Uhr?
– Ja; lassen Sie die Feuer anzünden und kräftig in Brand setzen.
– Zu Befehl, Herr Kapitän.
– Der Delphin ruht auf einem Nothanker; wir werden unser Ankertau durchhauen und abdampfen, ohne nur eine Secunde Zeit zu verlieren.
– Ganz recht.
– Lassen Sie an der Spitze des großen Mastes eine Laterne befestigen, die Nacht ist dunkel, und es steigt Nebel auf. Wir dürfen nicht in Gefahr laufen uns zu verirren, wenn wir an Bord zurückkommen. Lassen Sie Vorsicht halber von nenn Uhr ab die Schiffsglocke läuten.
– Ihre Befehle werden pünktlich ausgeführt werden, Herr Kapitän.
– Und nun lassen Sie das Gig 1 fertig machen, Herr Mathew, fügte James Playfair hinzu; bemannen Sie es mit unseren kräftigsten Männern, wir werden sogleich nach White-Point abfahren. Ich empfehle Ihnen noch Miß Jenny während meiner Abwesenheit; Gott behüte uns, Herr Mathew.
– Gott behüte Sie, Herr Kapitän«, sagte der Obersteuermann. Sodann gab er die nöthigen Befehle zur Bemannung des Boots und zur Heizung der Kessel. In wenigen Augenblicken bestieg James Playfair, nachdem er Jenny noch ein Mal Lebewohl gesagt hatte, sein Gig und konnte noch, als er abstieß, wahrnehmen, wie Ströme schwarzen Rauches sich in der dunkeln, nebligen Atmosphäre verloren.
Es war außerordentlich finster; der Wind hatte sich gelegt, und eine vollkommene Stille herrschte auf der weiten Rhede, die Fluth schien im Schlummer zu liegen. Einige kaum erkennbare Lichter zitterten hier und da durch den Nebel.
James Playfair stand am Steuer und lenkte sein Boot mit sicherer Hand nach White-Point zu; er hatte etwa zwei Meilen bis dorthin zu machen. Während des Tages hatte James seine Aufnahmen vollständig festgestellt, so daß er die Spitze von Charleston in gerader Linie erreichen konnte.
Als das Gig mit seinem Vordertheil White-Point berührte, schlug es an der St. Philippskirche acht Uhr.
James hatte jetzt noch eine Stunde vor dem von Crockston festgesetzten Moment zu warten; der Kai war vollständig verödet, nur der Posten der Süd-und Ost-Batterie ging in einer Entfernung von zwanzig Schritten auf und ab. James Playfair zählte ungeduldig die Minuten; wie langsam und schwerfällig schienen sie ihm hinzugehen!
Um halb neun Uhr hörte James endlich ein Geräusch von nahenden Schritten, er befahl seinen Leuten mit eingelegten Rudern zu warten, und begab sich etwa zehn Schritte vorwärts. Aber hier traf er auf einen Posten Küstenwächter, etwa zwanzig Mann, die soeben die Runde machten. Der Kapitän zog einen Revolver aus dem Gürtel, er war fest entschlossen, sich im Nothfall mit der Schußwaffe zu vertheidigen. Was konnte er jedoch gegen diese Soldaten machen?
Nun kam der Anführer der Wache auf ihn zu, er hatte das Boot bemerkt und fragte:
»Was ist das für ein Boot?
– Das Gig des Delphin.
– Und Sie sind? …
– Kapitän James Playfair.
– Ich glaubte, Sie seien schon abgereist und befänden sich bereits im Fahrwasser von Charleston.
– Ich bin zur Abreise fertig … ich sollte sogar schon unterwegs sein aber …
– Aber?« fragte ungeduldig drängend der
Weitere Kostenlose Bücher