Erzählungen
Anführer.
Ein plötzlicher Gedanke stieg in dem Kopf des Kapitäns auf, er erwiderte ruhig:
»Ich habe einen von meinen Matrosen in der Citadelle einsperren lassen und hätte ihn beinahe vergessen. Zum Glück dachte ich im letzten Augenblick noch daran und habe soeben Leute abgeschickt, um ihn zu holen.
– Aha, der liederliche Kerl, den Sie nach England zurücktransportiren wollen?
– Derselbe.
– Wir hätten ihn ebenso gut hier hängen können, sagte der Wachthabende und lachte über seine Bemerkung.
– Davon bin ich überzeugt, es ist aber doch besser, daß die Dinge ihren regelmäßigen Gang gehen.
– Nun, Glück auf, Herr Kapitän! und hüten Sie sich vor den Batterien auf der Insel Morris.
– Danke, ich bin unbesorgt. Da ich ein Mal durchgekommen bin, denke ich auch ohne Unfall wieder herauszukommen.
– Glückliche Reise!
– Besten Dank.«
Die Truppe entfernte sich wieder, und der Strand hüllte sich abermals in tiefe Stille.
»Mr. Halliburli?« (S. 223.)
In diesem Augenblick schlug es neun Uhr, das war der verabredete Moment. James fühlte, wie sein Herz zum Zerspringen klopfte – ein Pfiff ließ sich hören – der Kapitän erwiderte sofort mit einem gleichen Zeichen. Dann wartete er, empfahl seinen Matrosen mit einem Zeichen der Hand Schweigen und horchte mit vorgebeugtem Haupt in die Dunkelheit hinaus. Plötzlich erschien eine Männergestalt, die in einen weiten Tartan gehüllt war und sich spähend nach allen Seiten umblickte. James eilte auf ihn zu:
»Mr. Halliburli?
– Ich bin’s, lautete die Antwort.
Vater und Tochter. (S. 227.)
– Gott sei Dank! rief der Kapitän. Steigen Sie sofort ein, wir haben keinen Augenblick Zeit zu verlieren. Wo ist Crockston?
– Crockston? fragte Mr. Halliburli im Tone höchsten Staunens. Wen meinen Sie damit?
– Nun, den Mann, der Sie befreit und hierher geführt hat.
– Mich hat nur der Kerkermeister der Citadelle hierher begleitet, antwortete Mr. Halliburli.
– Der Kerkermeister?« James Playfair wußte nicht, was er nach diesen Aussagen denken sollte, und tausend Befürchtungen stürmten auf ihn ein.
»Der Kerkermeister! nun ja natürlich! das wäre mir der Rechte dazu gewesen, ließ sich plötzlich eine wohlbekannte Stimme vernehmen. Der Kerkermeister schläft wie ein Murmelthier in meiner Zelle.
– Crockston, Du! Du bist’s! rief Mr. Halliburli.
– Keine weitläufigen Aufklärungen jetzt, mein Herr; in wenigen Minuten werden Sie Alles erfahren. Es handelt sich um Ihr Leben, eilen Sie!«
Die drei Männer nahmen im Boote Platz.
»Vorwärts!« befahl der Kapitän.
Die sechs Ruder fielen zugleich in ihre Dollen.
»Holt an die Riemen!« gebot James Playfair; und das Gig glitt schnell und geräuschlos wie ein Fisch durch die Wogen von Charleston-Harbour.
Fußnoten
1 Leichtes Boot, dessen beide Enden in eine Spitze auslaufen.
Neuntes Capitel.
Zwischen zwei Feuern.
Das Gig flog, von den sechs starken Ruderern geführt, pfeilschnell auf den Wassern der Rhede dahin, der Nebel verdichtete sich mehr und mehr, und James Playfair konnte sich nur mit großer Mühe auf der Linie seiner Aufnahmen halten. Crockston hatte sich vorne in’s Boot gestellt, und Mr. Halliburli saß hinten, neben dem Kapitän; er hatte in der ersten Ueberraschung, seinen Diener wiederzufinden, mit ihm sprechen wollen, es war ihm jedoch dringend Schweigen geboten.
Als aber das Boot einige Minuten später auf hoher Rhede war, entschloß sich Crockston, zu sprechen; er wußte wohl, wie so manche Fragen sich jetzt in Mr. Halliburli’s Innern drängen mußten.
»Ja, mein lieber Herr, begann er jetzt, unser Kerkermeister befindet sich in diesem Augenblicke in meiner Zelle; er brachte mir mein Abendessen, und ich war so undankbar, ihm dafür zwei tüchtige Faustschläge, einen in’s Genick und einen auf den Magen als Narcoticum zu verabreichen. Darauf habe ich mir seine Kleider und das Schlüsselbund angeeignet und mich daran gemacht, Sie aufzusuchen, was mir auch alsbald gelang. Wie ich Sie dann vor den Augen der Soldaten fort und aus der Citadelle führte, brauche ich nicht weiter zu erzählen. Die ganze Sache machte sich sehr leicht und einfach.
– Und meine Tochter? fragte Mr. Halliburli.
– Miß Jenny erwartet uns an Bord des Schiffes, das uns jetzt nach England bringen soll.
– Wie! meine Tochter ist hier? sie erwartet mich? rief der Amerikaner und sprang in großer Erregung von seinem Sitz auf.
– Ruhig, Mr. Halliburli! mahnte
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