Erzählungen
gewöhnlich, mit so majestätischer Langsamkeit abgespielt, daß sie den berühmten Meyerbeer außer sich gebracht hätte, die unsere Quiquendonianer aber in ihrem vollen Werth zu würdigen wußten.
Bald aber fühlt der Musikdirector, daß er nicht wie gewöhnlich das Orchester beherrscht, und daß er die, sonst so gehorsamen, ruhigen Spieler nur mit Mühe zurückhalten kann. Die Blasinstrumente zeigen ein lebhaftes Streben, die Streichinstrumente zu überflügeln, und müssen mit fester Hand zurückgehalten werden, da sonst, vom Gesichtspunkt der Harmonie aus betrachtet, eine bedauerliche Wirkung erzielt werden würde. Sogar der Fagottist, Sohn des Apothekers Josse Liefrink, für gewöhnlich ein durchaus wohlerzogener junger Mann, läßt sich gleichfalls zu so abnorm schnellem Spiel hinreißen.
Unterdessen hat Valentine ihr Recitativ begonnen:
»Nun bin ich ganz allein, allein in meinem Schmerz…«
aber auch sie eilt, und der Dirigent wie auch alle Musiker folgen ihr vielleicht unbewußt in ihrem Cantabile, das in kühnem Tact geschlagen werden mußte, wie eine Passage im Zwölf-Achtel Tact. Als Raoul im Hintergrunde erscheint, geht bis zu dem Augenblick, wo Valentine ihn im Nebenzimmer versteckt hat, kaum eine Viertelstunde hin, während ehedem nach den Traditionen von Quiquendone, zu den siebenunddreißig Tacten des Recitativs genau siebenunddreißig Minuten nothwendig waren.
Saint-Bris, Nevers, Cavannes und die vornehmen katholischen Herren treten vielleicht etwas eilig auf die Bühne; Allegro pomposo hat der Componist auf der Partitur angegeben. Das Orchester und die Herren spielen auch richtig Allegro, aber durchaus nicht pomposo , und bei dem Ensemble der Eidesleistung und Einsegnung der Dolche wird das reglementsmäßige Allegro nicht mehr gemäßigt; Sänger und Musiker gehen in rasendem Tempo durch. Auch der Dirigent hat es längst aufgegeben, die Spielenden zurückzuhalten, und unbegreiflicher Weise versucht auch das Publicum keine Einsprache, sondern fühlt sich hingerissen und nimmt Theil an der Bewegung, die dem inneren Drange der Seele entspricht.
»Vom Krieg, der uns bedroht und Alles bald verheert,
Wollt Ihr auch, so wie ich, nur Euer Land befreien?«
Das Versprechen, der Schwur wird geleistet. Kaum hat Nevers Zeit zu seiner Betheuerung, daß »unter seinen Ahnen er Soldaten, und nicht einen Meuchelmörder zählt«, so wird er arretirt. Die Viertelsmeister und Schöffen eilen herbei und geloben in raschem Tempo, »alle auf ein Mal zu treffen«. Saint-Bris trägt feurig, in wirklichem Zwei-Viertel-Tact das Recitativ vor, das die Katholiken zur Rache ruft. Die drei Mönche, mit Körben und weißen Schürzen kommen durch den Hintergrund von Nevers’ Zimmer hereingestürzt, ohne nur im geringsten die Bühnenanweisung zu beachten, der zufolge sie langsam vorschreiten sollen.
Schon haben die Umstehenden Schwert und Dolch gezogen, und die Waffen sind im Fluge von den Mönchen geweiht worden. Sopran, Tenor und Baß nehmen wüthend das Allegro furioso in Angriff, machen aus einem dramatischen Sechs-Achtel-Tact eine Sechs-Achtel-Quadrille und heulen, indem sie die Bühne verlassen:
»Nur Ruhe führt zum Ziel;
Damit uns nichts verrathe,
Entfernen wir uns still!
Nehmt in Acht
Mitternacht!«
In diesem Augenblick erhebt sich das Publicum; in den Logen, im Parterre, auf den Galerien giebt sich lebhafte Bewegung kund; es scheint fast, als wollten alle Zuschauer, der Bürgermeister van Tricasse voran, auf die Bühne stürzen, um sich mit den Verschworenen zu verbinden und die Hugenotten, deren religiöse Ansichten sie übrigens theilen, zu vernichten. Bravorufe ertönen, die Schauspieler werden hervorgerufen, ein wahrer Beifallssturm bricht los! Tatanémance schwenkt mit fiebernder Hand ihre apfelgrüne Haube, die Lichter im Saal verbreiten einen fast sprühenden Glanz.
Raoul soll langsam den Vorhang lüften, aber er reißt ihn mit stolzer Geberde mitten entzwei und steht Auge in Auge Valentine gegenüber.
Das große Duett ist herangekommen und wird Allegro vivace durchgeführt. Raoul nimmt sich nicht die Zeit, auf Valentinens Fragen zu warten, und Valentine wiederum wartet nicht auf die Antworten Raoul’s. Die köstliche Stelle:
»Es droht den Brüdern das Vederben;
O, laß mich, laß mich fort von hier!«
wird zu einer raschen Galopade, wie Offenbach sie liebt, wenn er seine Verschwörer tanzen läßt: das Andante amoroso :
»Du liebest mich! Du liebest
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