Erzählungen
dem La Fontaine den Präsidenten seines Rattenrats gemacht hätte: Man hätte stets mit Gewinn seinen Urteilen folgen können.
Allein, er war gichtig geworden und ging auf einer Krücke, wenn ihn die Gicht nicht in seinem großen Sessel zurückhielt. Er führte das auf die Feuchtigkeit der Austernbank von Samobrives zurück, wo er einige Monate hatte vegetieren müssen. Auch wenn er die berühmtesten Heilbäder mit dem besten Ruf besucht hatte, war er nur noch gichtiger zurückgekehrt. Das war um so ärgerlicher für ihn, als ihn jene Gicht – ein merkwürdiges Phänomen – für jede weitere Metamorphose untauglich machte. Die Seelenwanderung konnte sich nämlich nicht bei den Individuen entfalten, die von dieser Krankheit der Reichen befallen waren. Raton würde also so lange Ratte bleiben, wie er gichtig war.
Ratonne aber war keine Philosophin. Versetzt euch nur in ihre Lage, wenn sie erst zur Dame und Edeldame befördert wäre und eine einfache Ratte zum Gemahl hätte, und dazu noch eine gichtige Ratte! Da würde sie vor Schmach ja vergehen! Und so war sie auch zänkischer und reizbarer als jemals zuvor, suchte Händel mit dem Gatten, schimpfte auf die Bediensteten, weil schlecht erteilte Anweisungen schlecht ausgeführt wurden, machte so dem ganzen Haus das Leben zur Hölle!
»Ihr habt wieder gesund zu werden, mein Herr«, sagte sie, »und ich werde Euch schon dazu zu zwingen wissen!«
»Ich verlange ja gar nichts anderes, meine Gute«, antwortete Raton, »aber ich fürchte, daß das wohl unmöglich ist, und ich werde mich damit abfinden müssen, Ratte zu bleiben …«
»Ratte! Ich, Gattin einer Ratte! Wie würde ich denn dastehen? … Und dann noch unsere Tochter verliebt in diesen Jungen ohne Sou in der Tasche! … Welche Schande! Nehmt einmal an, ich würde eines Tages Prinzessin, dann wird Ratine auch Prinzessin sein …«
»Und ich bin dann Prinz«, meinte Raton nicht ohne Schadenfreude.
»Ihr! Prinz, mit Schwanz und Pfoten! Seht euch nur diesen schönen Edelmann an!«
Auf diese Weise hörte man Madame Ratonne den ganzen Tag herumnörgeln! Meistens versuchte sie, ihre schlechte Laune an Vetter Raté auszulassen. Allerdings forderte der arme Vetter auch ständig dazu heraus, daß man sich über ihn lustig machte.
Wieder einmal war seine Umwandlung nicht vollständig gelungen. Ratte war er nur zur Hälfte – vorne Ratte, hinten Fisch mit Wittlingsschwanz, was ihn ganz und gar grotesk aussehen ließ. Versucht einmal, in dieser Verfassung der schönen Ratine oder den anderen hübschen Rättinnen von Rattopolis zu gefallen!
»Was hab ich der Natur denn getan, daß sie mich so behandelt«, schrie er, »was hab ich ihr denn getan?«
»Willst du gefälligst diesen widerlichen Schwanz verstecken!« sagte Madame Ratonne. »Kann ich doch nicht, Tante!«
»Gut, dann schneid ihn ab, Dummkopf, schneid ihn ab!«
Und Koch Rata erbot sich, besagten Schnitt auszuführen. Aber da schritt die gute Ratane ein und verwandte sich zugunsten des Vetters. Dabei hätte es der geschickte Küchenchef schon verstanden, den Wittlingsschwanz auf meisterliche Weise zuzubereiten. Welches Festmahl für einen Festtag wie diesen!
Ein Festtag in Rattopolis? Jawohl, meine lieben Kinder! Und die Familie Raton hatte sich vorgenommen, an den öffentlichen Belustigungen teilzunehmen. Sie wartete nur noch auf Ratines Rückkehr, um aufzubrechen.
Da hielt auf einmal eine Kutsche vor der Haustür. Die gehörte der in ein brokat-goldenes Gewand gekleideten Fee Firmenta, die ihre Schützlinge besuchen kam. Die Freundschaft, die sie ihnen gegenüber empfand, war unverändert. Mochte sie auch manchmal über Ratonnes lächerliche Geltungssucht, Ratas alberne Angebereien, Ratanes Dummheiten und Vetter Rates Gejammer schmunzeln, so hielt sie doch große Stücke auf Ratons gesunden Menschenverstand, vergötterte die reizende Ratine und setzte sich für das Gelingen ihrer Heirat ein.
Und in ihrer Gegenwart wagte Madame Ratonne nicht mehr, dem schönen Jüngling vorzuwerfen, nicht einmal Prinz zu sein.
Man bereitete der Fee also einen freundlichen Empfang, ohne den Dank zu vergessen für all das, was sie für sie schon getan hatte und wohl noch tun würde.
»Weil wir Euch doch so brauchen, gute Fee!« sagte Ratonne. »Ach ja, und wann werde ich Dame?«
»Geduld!« antwortete Firmenta, »Geduld! Ihr müßt noch die letzten Stadien durchschreiten, und das braucht seine Zeit.«
»Könnte man dem nicht nachhelfen? …«
»Das wäre gegen
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