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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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könnte die härtesten Herzen erweichen. Es scheint fast, als würde sie ihren Kummer singen.
    »Gott! O Gott!« ruft sie aus, »nachdem ich eine elegante Forelle und eine Ratte gewesen bin, die jedermann gefiel, nun eine Gans zu sein, eine Hausgans, eine dieser Hühnerhofgänse, die jeder dahergelaufene Koch mit Kastanien vollstopfen kann!«
     

    Bei diesem Gedanken seufzte sie und fügte hinzu:
    »Wer weiß, ob mein Gemahl nicht auch noch auf diesen Gedanken kommen wird? Jetzt verschmäht er mich nämlich!
    Wie soll auch ein so majestätischer Pfau für eine so gewöhnliche Gans die mindeste Achtung aufbringen? Ach, wie unglücklich ich bin!«
    Sie führte den Fuß zum Schnabel und überlegte:
    »Wenn ich wenigstens eine Pute wär, das wäre schon vornehmer! … Ach was, Rata findet mich nicht mehr nach seinem Geschmack!«
     

    Und das war nur allzu offensichtlich, als der blasierte Rata in den Hof trat. Aber in der Tat – welch prächtiger Pfau! Er betätigt seinen leichten und schwenkbaren, mit den leuchtendsten Farben bemalten Federbusch. Er richtet sein Gefieder auf, das wie mit Blumen bestickt und mit Edelsteinen bestückt scheint. Breit entfaltet er den stolzen Fächer seiner Federn und die seidenweichen Flaumen, die seine Schwanzfedern bedecken. Wie könnte sich dieser hinreißende Vogel zu jener Gans herabwürdigen, die unter ihren aschgrauen Daunen und dem braunen Mantel so wenig anziehend wirkt?
    »Mein lieber Rata!« sagte sie.
    »Wer wagt es, meinen Namen aus zusprechen?« erwiderte der Pfau.
    »Ich!«
    »Eine Gans! Wer ist diese Gans? …«
    »Ich bin doch Eure Ratane!«
    »Ih, pfui! wie schrecklich! Hinfort, ich ersuche Euch!«
    »Mein lieber Rata …«
    »Nein, sage ich Euch. Ich weiß nicht, wer Ihr seid, und will es auch gar nicht wissen!«
    Wirklich: Die Eitelkeit spricht Albernheit.
    Aber das Beispiel wurde diesem Hochmütigen ja auch von oben vorgegeben. Zeigte seine Herrin Ratonne denn mehr Vernunft? Ging sie mit ihrem Gemahl Raton nicht ebenso herablassend um, wie Rata Ratane behandelte?
    Und da hält sie auch schon ihren Einzug, vom Gatten begleitet, von der Tochter, Ratin und Vetter Raté.
    Ratine ist hinreißend als Taube mit ihrem aschgraubläulichen Gefieder, der changierenden Unterseite ihres goldgrünen Halses, der venezianisch-roten Brust und dem erlesenen weißen Fleck, der jeden ihrer Flügel ziert.
    Wie Ratin sie mit seinen Augen verschlingt! Welch melodiöses Gurr-Gurr sie ertönen läßt, während sie um den schönen Jüngling herumfliegt!
     

    Auf die Krücke gestützt, betrachtete Vater Raton seine Tochter voller Bewunderung. Wie schön er sie fand! Fest steht aber, daß sich Madame Ratonne selbst noch schöner fand! Ach, die Natur hatte ja so gut daran getan, sie in einen Papagei zu verwandeln! Sie schwatzte und schwatzte! Stufenweise stellte sie ihren Schwanz auf, der sogar den Neid des Herrn Rata erwecken konnte. Hättet ihr sie nur gesehen, wenn sie sich unter den Sonnenstrahlen zurechtsetzte, um den gelben Halsflaum schimmern zu lassen, wie sie ihre grünen Flugfedern und die bläulichen Schwungfedern hin-und herschwenkte! Das war wirklich ein Prachtexemplar orientalischer Papageiinnen.
    »Nun, bist du zufrieden mit deinem Schicksal, mein Herzchen?« fragte sie Raton.
    »Hier gibt es kein Herzchen mehr!« antwortete sie trocken. »Ich bitte Euch, Eure Ausdrücke abzuwägen und nicht die Distanz zu vergessen, die uns jetzt trennt!«
    »Mich, deinen Mann? …«
    »Eine Ratte Gatte einer Papageiin! Ihr seid geistig verwirrt, mein Teuerster!«
    Und Madame Ratonne protzte sich noch affektierter auf, als Rata in ihrer Nähe einherstolzierte.
    Raton gab seiner Dienerin einen kleinen freundlichen Wink. In seinen Augen hatte sie nichts an Achtbarkeit verloren.
    Dann sagte er sich:
    »Ach, die Frauen! Diese Frauen! Seht sie euch nur an, wenn ihnen die Eitelkeit den Kopf verdreht – und auch dann, wenn sie ihn ihnen nicht verdreht. Doch seien wir Philosoph!«
    Und was wurde während dieser Familienszene aus Vetter Raté? Der hatte wahrhaftig Anlaß, über die Ungerechtigkeit des Schicksals seiner Person gegenüber zu klagen. Und wie! Immer noch dieses Anhängsel, das nicht zu seiner Art passen wollte! Nachdem er eine Ratte mit Wittlingsschwanz gewesen war, war er nun ein Reiher mit Rattenschwanz! Wenn das so weiterginge, in dem Maße, wie er auf der Lebensleiter höhersteigen würde, wäre das doch sehr bedauerlich!
    So hörte er mit dem Gejammer auch nicht mehr auf, der

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