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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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würde (aus Angst, sich zu täuschen) –, sondern um es zu besichtigen wie die Statue von Karl dem Großen auf einer Insel im Lago Maggiore. Nur daß diese Statue, so berühmt sie auch sein mag, ihm nicht mal bis zum Knöchel reichen würde.
    Erlaubt mir, meine lieben Kinder, daß ich mich nicht länger bei der Beschreibung dieses Wunderwerkes aufhalte, das dem menschlichen Genius alle Ehre macht. Weder die Pyramiden in Ägypten noch die hängenden Gärten Babylons, nicht der Koloß von Rhodos, der Leuchtturm von Alexandria oder der Eiffelturm können mit ihm verglichen werden. Wenn sich die Geographen einmal über das Land geeinigt haben werden, in dem sich die große Sphinx von Romiradur befindet, gebe ich euch Bescheid und hoffe sehr, daß ihr ihr während eurer Ferien einmal einen Besuch abstattet.
    Gardafur aber kannte den Ort, und zu ihm führte er die Familie Raton hin. Als er ihr gesagt hatte, daß in diesem Landstrich ein großer Volksauflauf sei, hatte er sie nichtswürdig getäuscht. Das würde Pfau und Papagei außerordentlich befremden. Um die stolze Sphinx kümmerten sie sich ja nicht. Gardafur scherte sich aber genauso wenig um die Vorwürfe, mit denen ihn Madame Ratonne und Herr Rata unweigerlich eindecken würden!
    Wie ihr euch sicher schon gedacht haben werdet, ist zwischen Zauberer und Prinz ein Plan ausgemacht worden. Und so stand der Prinz mit einer Hundertschaft seiner Garde am Rande eines nebenan gelegenen Waldes bereit. Sobald die Familie Raton in die Sphinx eingestiegen wäre, würde man sie da wie in einer Rattenfalle fangen. Wenn es hundert Männern nicht gelingen würde, sich fünfer Vögel, einer Ratte und eines jungen Verliebten zu bemächtigen, dann mußten diese schon im Schutz irgendeiner übersinnlichen Macht stehen.
    Während er auf sie wartete, schritt der Prinz auf und ab. Er trug die Anzeichen lebhaftester Ungeduld. Wie es ihn wurmte, daß er in seinem Unterfangen gegen die schöne Ratine geschlagen worden war! Ach, welche Rache er an dieser Familie genommen hätte, wenn Gardafur im Vollbesitz seiner Macht gewesen wäre! Aber noch war der Zauberer zur Ohnmacht verdammt, und es sollte noch ein paar Wochen dauern, bis ihm seine Fähigkeiten zurückgegeben würden.
    Diesmal waren jedenfalls alle Vorbereitungen so gut getroffen worden, daß wahrscheinlich weder Ratine noch ihre Angehörigen der Verschwörung ihrer Verfolger würden entkommen können.
    In diesem Augenblick erschien Gardafur an der Spitze der kleinen Karawane, und der Prinz hielt sich mitten unter seinen Soldaten zum Eingreifen bereit.
XI
    Trotz seiner Gicht marschierte Vater Raton mit gutem Schritt voran. Die Taube zog am Himmel große Kreise und setzte sich von Zeit zu Zeit auf Ratins Schulter. Die Papageiin flatterte von einem Baum zum anderen und versuchte, aus der Höhe das versprochene Gedränge zu erspähen. Der Pfau hielt seinen Schwanz sorgsam zusammengeklappt, um ihn nur nicht am Dornengestrüpp zu zerreißen, während Ratane auf ihren breiten Patschen einherwatschelte. Hinterdrein peitschte der Reiher mit gesenktem Schnabel wütend seinen Schwanz durch die Luft. Er hatte ja versucht, ihn in seine Tasche – ich meine, unter seinen Flügel – zu stecken, aber das mußte er aufgeben, weil er zu kurz war.
    Endlich kamen die Reisenden am Fuße der Sphinx an. Noch nie hatten sie so was Schönes gesehen.
    Madame Ratonne und Herr Rata drangen aber auf den Führer ein und fragten ihn:
    »Und wo bitte ist das Getümmel der hohen Herrschaften, das Ihr uns versprochen habt?«
    »Das wird sich zeigen«, antwortete Gardafur, »sobald ihr den Kopf des Ungeheuers erreicht habt. Von dort aus werdet Ihr die Masse überragen und über mehrere Meilen im Umkreis zu sehen sein!«
    »Gut, dann laßt uns schnell reingehen!« sagte Madame Ratonne.
    »Gehen wir«, erwiderte Gardafur.
    Ohne Mißtrauen betraten sie das Innere. Sie bemerkten nicht einmal, daß der Führer draußen geblieben war und hinter ihnen die Tür zwischen den Tatzen des riesenhaften Tieres zuschloß.
    Drinnen herrschte ein Halbdunkel, das durch jenes Licht erzeugt wurde, das sich durch die Öffnungen am Gesicht die inwendige Treppe herunterstahl. Nach einer kurzen Weile sah man, wie Raton zwischen den Lippen der Sphinx spazierte, Madame Ratonne auf der Nasenspitze herumtanzte und sich den neckischsten Luftsprüngen hingab, Herr Rata dagegen auf dem Gipfel des Schädels ein Rad schlug und die Sonnenstrahlen verdeckte.
    Der junge Ratin und die junge Ratine

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