Erzählungen
Art. Das Erdgeschoß im Palaste des Vicekönigs und der ebenso mit Läden besetzte Unterbau der Kathedrale vollendeten das Gesammtbild eines offenen Bazars für alle Erzeugnisse der Tropenwelt.
Der Platz war in Folge dessen sehr geräuschvoll, sobald aber der Angelus vom Glockenthurme der Kathedrale ertönte, schwieg das Geräusch mit dem ersten Schlage. Dem lauten, lustigen Geschrei folgte das Geflüster des Gebetes. Die Frauen unterbrachen ihren Spaziergang und nahmen den Rosenkranz in die Hände.
Während Alles still stand und die Kniee beugte, suchte sich eine alte Duenna, die ein junges Mädchen führte, mitten durch die unbewegliche Menge zu drängen, was nicht wenige unliebsame Bemerkungen über die beiden Störerinnen des Gebetes hervorrief. Das junge Mädchen wollte auch stehen bleiben, doch die Duenna zog sie mit sich fort.
»Seht diese Satanstochter, raunte man neben ihr.
– Was ist’s mit der verdammten Tänzerin?
– Das ist noch eine der Weiber von ›Carcaman‹.« 2
Plötzlich erfaßt ein Maulthiertreiber das Mädchen an der Schulter und will sie zum Niederknieen zwingen; doch kaum hat er die Hand auf sie gelegt, als ein wuchtiger Arm ihn niederschlägt. Die blitzschnell verlaufende Scene erregte einiges Aufsehen.
»Fliehen Sie!« flüstert da eine sanfte und ehrerbietige Stimme dem jungen Mädchen in’s Ohr.
Diese dreht sich bleich vor Schrecken um und gewahrt einen jungen, hochgewachsenen Indianer, der mit gekreuzten Armen seinen Gegner ruhig erwartet.
»Bei meiner Seele, wir sind verloren!« heult die Duenna.
Sie schleppt das junge Mädchen mit sich fort.
»Elender Indianer!« rief der Mestize. (S. 214.)
Der von seinem Sturze halb gelähmte Maulthiertreiber hat sich wieder erhoben; da er es aber für gerathen hält, an einem so entschlossenen und kampfbereiten Gegner, wie der junge Indianer, keine Widervergeltung zu üben, ordnet er seine Maulthiere wieder und entfernt sich, nutzlose Drohungen murmelnd.
Der junge Indianer erwartete ruhig, mit gekreuzten Armen, seinen Gegner. (S. 215.)
Fußnoten
1 D.i. Vermummte.
2 Ein Schimpfname, den die Peruaner den Europäern geben.
II.
Die Stadt Lima liegt im Thale der Rimac, neun englische Meilen von deren Mündung. Im Norden und Osten beginnen die ersten wellenförmigen Terrainerhebungen, die zu der großen Kette der Anden gehören. Das Thal von Lurigamho, das aus den Gebirgen von San Cristoval und den Amancaës gebildet wird, die sich hinter Lima erheben, endet dicht vor den Vorstädten derselben. Die Stadt selbst erstreckt sich nur längs des einen Ufers des Flusses hin. Das andere nimmt die Vorstadt San-Lazaro ein, welche mit jener durch eine Brücke von fünf Bogen in Verbindung steht, deren stromaufwärts gerichtete Pfeilerseiten dem Wasser eine scharfe Kante entgegenstellen. Auf der anderen Seite stromabwärts bieten sie den Spaziergängern Bänke, auf denen sich die Elegants während der Sommerabende ausstrecken, und von welchen aus sie einen hübschen Wasserfall betrachten können.
Von Osten nach Westen hat die Stadt eine Länge von zwei Meilen, doch von der Brücke bis zu den Umfassungsmauern nur eine Breite von ein und einer Viertelmeile. Diese zwölf Fuß hohen und an ihrer Basis zehn Fuß dicken Mauern bestehen aus »Adobes«, das sind eine Art an der Luft getrockneter Ziegelsteine, welche aus einer Mischung von thonhaltiger Erde und kurz geschnittenem Stroh hergestellt werden, und die deshalb geeignet sind, auch den Erderschütterungen Widerstand zu leisten. Die Umfassungsmauern, welche sieben Thore und drei Ausfallpforten haben, enden im Süden an der kleinen Citadelle der heiligen Katharina.
Das ist ungefähr die alte Stadt der Könige, die Pizarro am Tage Epiphanias des Jahres 1534 gründete. Sie war früher und ist noch heute der Schauplatz immer wiederkehrender Revolutionen. Ehedem bildete Lima den Haupthandelsplatz Amerikas am Stillen Ocean und verdankte das seinem Hafen von Callao, der im Jahre 1779 auf eigenthümliche Art gebaut wurde. Man ließ am Ufer ein altes, sehr großes Schiff stranden, das mit Steinen, Sand und allerhand Trümmern gefüllt war, flößte dann auf dem Guayaquil Magnolienstämme herunter, welche vom Wasser nicht im Mindesten angegriffen werden, und senkte diese um den Schiffsrumpf herum ein, der dadurch zur unerschütterlichen Grundlage wurde, über welcher sich der Molo von Callao erhob.
Das Klima, gemäßigter und milder als das von Carthagena oder Bahia an der
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