Erzählungen
verbringen Indianer die Nächte in stummer Betrachtung? fragte Andreas Certa zornig.
– Seit ihre Füße auf dem ureigenen Boden ihrer Vorfahren wandeln«, antwortete Martin Paz.
Andreas Certa that einen Schritt gegen seinen unbeweglichen Gegner.
»Elender, wirst Du mir Platz machen?
– Nein«, erwiderte Martin Paz, und sofort blitzten zwei Dolche in Beider Händen. Beide Gegner waren von gleicher Größe und scheinbar von gleicher Körperkraft.
Schnell erhob Andreas Certa den Arm zum Stoße, noch schneller ließ er ihn wieder sinken. Sein Dolch war dem malayischen Dolche des Indianers begegnet, und an der Schulter getroffen sank er zur Erde.
»Zu Hilfe! Zu Hilfe!« rief er.
Die Hausthür des Juden öffnete sich. Aus einem benachbarten Hause liefen mehrere Mestizen herbei. Die Einen verfolgten den Indianer, der eilig das Weite suchte, die Anderen hoben den Verwundeten auf.
»Wer ist der Mann? fragte Einer derselben. Ist es ein Seemann, so schafft ihn nach dem Hospitale zum heiligen Geiste, ist es ein Indianer, dann nach dem St. Anna-Hospize.«
Da näherte ein Greis sich dem Verwundeten und befahl, als er diesen kaum gesehen:
»Tragt diesen jungen Mann zu mir hinein; das ist ein eigenthümliches Unglück!«
»Ist es das erste Mal, daß jener junge Indianer Ihnen in den Weg kommt?« (S. 220.)
Der Greis war der Jude Samuel, der in dem Verwundeten den Bräutigam seiner Tochter erkannt hatte.
Inzwischen hoffte Martin Paz, Dank der Finsterniß und seiner Schnelligkeit, seinen Verfolgern zu entgehen. Er lief um sein Leben. Hätte er das freie Feld erreichen können, so wäre er wohl in Sicherheit gewesen, doch die Thore der Stadt wurden um elf Uhr geschlossen und öffneten sich vor vier Uhr nicht wieder.
Er gelangte nach der steinernen Brücke, die er schon halb überschritten halte. Dicht waren ihm die Mestizen und einige Soldaten, die sich Jenen angeschlossen hatten, auf den Fersen. Um das Unglück voll zu machen, zog da von dem anderen Ende der Brücke aus eine Patrouille über diese. Martin Paz, der weder vor-noch rückwärts konnte, schwang sich auf das Geländer und stürzte sich in den Strom, welcher auf seinem steinigen Bette schäumte.
Die Verfolger liefen an beiden Seiten die Ufer entlang, um den Flüchtling zu ergreifen, wenn er an’s Land schwimmen würde.
Doch vergebens – Martin Paz wurde nicht wieder sichtbar.
III.
Nachdem Andreas Certa in das Haus Samuel’s und in ein eiligst zurecht gemachtes Bett gebracht worden war, erlangte er bald das Bewußtsein wieder und drückte dem alten Juden dankbar die Hände. Einen Arzt hatten die Diener des Hauses schnell herbeigeholt. Dieser erklärte die Wunde für nicht besonders schwer, der Stahl des Dolches hatte die Schulter des Mestizen nur in den Weichtheilen getroffen. Nach einigen Tagen würde Andreas Certa wieder hergestellt sein.
Als Samuel und Andreas Certa allein waren, sagte Letzterer:
»Sie sollten die Thür, welche nach der Terrasse führt, vermauern lassen, Meister Samuel.
– Was fürchten Sie denn? fragte der Jude.
– Ich fürchte, daß Sarah dahin zurückkehrt, um sich von den Indianern anstaunen zu lassen! Es war kein Dieb, der mich angriff, sondern ein Rivale, dem ich nur durch ein Wunder entgangen bin!
– O, bei den Tafeln des Gesetzes, rief der Jude, Sie täuschen sich! Sarah wird eine tadellose Hausfrau sein, und ich versäume nichts, damit sie Ihnen alle Ehre mache.«
Andreas Certa erhob sich ein wenig auf dem Ellenbogen.
»Meister Samuel, sagte er, Sie vergessen mir, wie es scheint, etwas zu sehr, daß ich Ihnen Sarah’s Hand mit 100,000 Piastern bezahle.
– Andreas Certa, erwiderte der Jude mit lüsternem Grinsen, ich erinnere mich dessen so gut, daß ich jeden Augenblick bereit bin, Ihren Schein gegen klingende Münze einzutauschen.«
Bei diesen Worten zog er ein Papier aus seiner Brieftasche, das Andreas Certa hastig mit der Hand zurückschob.
»So lange Sarah nicht mein Weib ist, hat der Handel keine Giltigkeit, und sie wird es niemals werden, wenn ich sie einem solchen Abenteurer abringen soll! Sie kennen meine Absicht, Samuel, durch die Heirat mit Sarah will ich mich jener Noblesse gleichstellen, die jetzt nur Blicke der Verachtung für mich hat!
– Und das werden Sie erlangen, Andreas, denn sobald Sie verheiratet sind, drängen sich unsere stolzesten Spanier in Ihre Salons!
– Wo war Sarah heute Abend?
– Im mosaischen Tempel mit der alten Ammon.
– Warum lassen Sie Sarah Ihre religiösen
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