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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ihr nicht in der Dunkelheit folge.
    In Sarah’s Herzen wohnte eine gewisse Kühnheit, welche ihr so herrlich stand. Sie war stolz wie eine Spanierin, und wenn ihre Blicke sich auf jenen Mann gerichtet hatten, so geschah es, weil er selbst stolz genug war, und nicht einen dankenden Blick als Preis seines Schutzes verlangt hatte.
    In der Voraussetzung, daß der junge Indianer sie nicht aus den Augen gelassen habe, täuschte sich Sarah nicht. Nachdem Martin Paz dem Judenmädchen zu Hilfe gesprungen war, wollte er auch ihren Heimweg sichern. So folgte er ihr, als die Umstehenden sich etwas zerstreut hatten, unbemerkt von ihr selbst nach.
    Er war ein schöner junger Mann, dieser Martin Paz, und trug die nationale Tracht der Indianer aus den Bergen mit edlem Anstande; unter seinem breitrandigen Strohhute quoll ein üppiges schwarzes Haar hervor, dessen Locken mit der Kupferfarbe seines Gesichtes harmonirten. Seine Augen leuchteten in sanftem Glanze und seine Nase erhob sich über einem hübschen Munde, eine Seltenheit bei den Zugehörigen dieser Racen Einer der muthigen Abkömmlinge Manco-Capacs, strömte jenes thatenlustige Blut in seinen Adern, das zur Ausführung großer Unternehmungen antreibt.
    Martin Paz erscheint stolz eingehüllt in seinen Puncho; sein Gürtel hält einen jener malayischen Dolche, die in einer geübten Hand so furchtbar werden können und an den Arm genietet scheinen. Im Norden Amerikas, an den Ufern des Ontario-Sees, wäre dieser Indianer ein Häuptling jener nomadisirenden Stämme gewesen, die den Engländern so viel heroische Schlachten geliefert haben.
    Martin Paz wußte recht gut, daß Sarah die Tochter des reichen Samuel und die Braut des geldstolzen Mestizen Andreas Certa war; er sagte sich, daß sie durch ihre Geburt, ihre Stellung und Reichthümer ihm niemals gehören könne, doch er vergaß gern alle diese Unmöglichkeiten, um in dem wilden Strome seiner Gefühle zu schwelgen.
    In Gedanken versunken, unterbrach Martin Paz seinen Weg, als er von zwei Indianern angehalten wurde.
    »Martin Paz, sagte Einer derselben zu ihm, Du mußt noch diese Nacht Deine Brüder in den Bergen sehen.
    – Ich weiß es, antwortete kühl der Indianer.
    – Die Goelette Annonciation hat sich auf der Höhe von Callao gezeigt, eine Zeit lang lavirt, und ist dann von der Landspitze verdeckt verschwunden. Ohne Zweifel nähert sie sich der Küste nach der Mündung der Rimac zu; es wird gut sein daß unsere Rindencanots sie um ihren Inhalt erleichtern, und Du mußt dabei sein!
    – Martin Paz weiß, was er zu thun hat, und wird es thun.
    – Wir sprechen zu Dir im Namen des Sambo.
    – Und ich antworte Euch in meinem eigenen Namen!
    – Fürchtest Du nicht, daß er Deine Anwesenheit in der Vorstadt San Lazaro und um diese Stunde unerklärlich finde?
    – Ich bin da, wo es mir zu sein beliebt.
    – Vor dem Hause des Juden?
    – Diejenigen meiner Brüder, welche etwas dagegen haben werden mich heute Nacht in den Bergen treffen.«
    Die Augen der drei Männer funkelten – das war Alles. Die Indianer wendeten sich nach dem Ufer der Rimac, und das Geräusch ihrer Schritte verhallte in der Dunkelheit.
    Martin Paz hatte sich schnell dem Hause des Juden genähert. Dieses Haus bestand, wie alle in Lima, nur aus zwei Stockwerken; auf dem aus Ziegelsteinen erbauten Erdgeschosse ruhten die oberen aus Rohr geflochtenen Mauern, die mittels Gyps verdichtet waren. Doch auch dieser Theil des Hauses, welcher durch seine Construction den Erdbeben zu widerstehen vermochte, erschien durch eine recht geschickte Malerei aus demselben Material bestehend, wie das untere Geschoß; das Dach war mit Blumen bedeckt und bildete eine Terrasse voller Duft und Farbenpracht.
    Ein großer Thorweg zwischen zwei Lusthäuschen führte nach dem Hofe, doch zeigten diese Häuschen, der Gewohnheit des Landes gemäß, keine Fenster nach der Straßenseite.
    An der Parochialkirche schlug es elf Uhr, als Martin Paz vor dem Hause Sarah’s stehen blieb. Rings herrschte tiefes Schweigen.
    Warum verweilte der Indianer unbeweglich vor diesem Hause? – Auf der Terrasse war mitten unter den Blumen, welchen die Nacht nur eine unbestimmte Form ließ, während sie von ihrem Duft nichts rauben konnte, eine weiße Gestalt erschienen.
    Ohne sich davon Rechenschaft zu geben, erhob Martin Paz wie anbetend die Arme.
    Plötzlich bückte sich die weiße Gestalt, als wäre sie erschrocken.
    Martin Paz wendete sich um und stand Andreas Certa Auge in Auge gegenüber.
    »Seit wann

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