Erzählungen
Gebräuche mit befolgen?
– Ich bin Jude, entgegnete Samuel, und wäre Sarah wohl meine Tochter, wenn sie nicht die Vorschriften meiner Religion erfüllte?«
Ein gemeiner Mann war es, dieser Jude Samuel.
Mit Allem und überall schachernd, stammte er in gerader Linie von jenem Judas ab, der seinen Meister um dreißig Silberlinge verrieth. In Lima seit zehn Jahren ansässig, wählte er seine Wohnung aus Geschmack und Berechnung am äußersten Ende der Vorstadt San-Lazaro, und ließ sich in die verdächtigsten Speculationen ein. Später entfaltete er nach und nach einen ungeheuren Luxus; bei seinem verschwenderisch geführten Hauswesen, seiner zahlreichen Dienerschaft und seinen prächtigen Equipagen schrieb man ihm ganz fabelhafte Einkünfte zu.
Als Samuel sich in Lima niederließ, zählte Sarah zehn Jahre. Schon damals eine liebreizende Erscheinung, gefiel sie Allen und schien das ganze Ideal des Juden zu sein. Einige Jahre später zog ihre Schönheit alle Blicke auf sich, und man wird es erklärlich finden, daß auch der Mestize Andreas Certa von der jungen Jüdin eingenommen wurde. Was schwierig zu erklären scheint, das ist der Preis von 100,000 Piastern für Sarah’s Hand, doch diese Abmachung blieb vorläufig geheim. Uebrigens darf es gar nicht auffallen, daß dieser Samuel mit Gefühlen ebenso schacherte, wie mit den Erzeugnissen des Landes. Geldwechsler, Wucherer, Kaufmann, Rheder, fiel es ihm nicht schwer, mit aller Welt Geschäfte zu machen. Die Goelette Annonciation, welche eben diese Nacht bei der Mündung der Rimac zu landen suchte, gehörte dem Juden Samuel.
Trotz dieser vielfachen Geschäftigkeit kam dieser Mann, wie mit angeerbter Pünktlichkeit, den Vorschriften seiner Religion fast abergläubisch nach, und seine Tochter hatte ebenfalls den sorgfältigsten Religionsunterricht genossen.
Als ihm bei obigem Gespräch der Mestize sein Mißfallen zu erkennen gegeben hatte, wurde der Greis stumm und nachdenklich. Andreas Certa brach erst nach langer Pause das Stillschweigen mit den Worten:
»Haben Sie denn vergessen, daß die Ursache, weshalb ich Sarah zum Weibe nehme, sie auch nöthigen wird, zum Katholicismus überzutreten?
– Sie haben wohl recht erwiderte traurig Samuel, doch nach dem Worte der Bibel wird Sarah Jüdin bleiben, so lange sie meine Tochter ist!«
Jetzt öffnete sich die Thüre und der Haushofmeister trat ein.
»Ist der Mörder ergriffen? fragte Samuel.
– Aus Allem geht die Wahrscheinlichkeit hervor, daß er todt ist! antwortete der Hofmeister.
– Todt! rief Andreas Certa mit dem Ausdruck der Freude.
– Zwischen uns und einen Trupp Soldaten gedrängt, ist er über das Brückengeländer gesprungen und hat sich in die Rimac gestürzt.
– Wer steht Euch aber dafür, daß er nicht eines der Ufer habe erreichen können? fragte Samuel.
– Der geschmolzene Schnee hat den Fluß gerade jetzt zum reißenden Strome angeschwellt, antwortete der Majordomus. Uebrigens hatten wir die beiden Flußufer besetzt, und nirgends ist der Flüchtling wieder zum Vorschein gekommen. Ich habe außerdem noch Wachen aufgestellt, welche die beiden Seiten fortwährend im Auge behalten.
– Desto besser, sagte der Greis, wenn er sein Urtheil an sich selbst vollstreckte. Habt Ihr ihn bei seiner Flucht noch erkannt?
– Ganz gut. Es war Martin Paz, der Indianer aus den Bergen.
– Lauerte der Mann Sarah schon seit langer Zeit auf? fragte der Jude.
– Ich weiß es nicht, erwiderte der Majordomus.
– Lassen Sie die alte Ammon kommen.«
Der Majordomus zog sich zurück.
»Diese Indianer, bemerkte der Greis, haben unter sich geheime Verbindungen. Wir müssen wissen, ob die Verfolgungen jenes Mannes schon seit langer Zeit stattgefunden haben.«
Die Duenna trat ein und blieb vor ihrem Herrn stehen.
»Meine Tochter weiß nichts von dem, was gestern Abend vorgefallen ist? fragte Samuel.
– Das kann ich nicht sagen, erwiderte die Duenna; als mich das Geschrei der Diener weckte, lief ich nach dem Zimmer der Senora, die ich fast ohne Bewegung antraf.
– Fahre fort, sagte Samuel.
– Auf meine dringende Frage nach dem Grunde ihrer Beunruhigung wollte mir die Señora nicht antworten; sie hat sich niedergelegt, ohne meine Dienste in Anspruch zu nehmen, und hieß mich gehen.
– Begegnete ihr jener Indianer häufiger auf ihrem Wege?
– Davon weiß ich nichts Herr! Doch habe ich ihn wiederholt in den Straßen von San-Lazaro gesehen, und gestern Abend kam er auf der Plaza-Mayor der Senora zu
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