Erzählungen
Hilfe.
– Ihr zu Hilfe? Und wie das?«
Die Alte erzählte, was sich auf ihrem Heimwege ereignet hatte.
»Was? Meine Tochter wollte mitten unter den Christen niederknieen? rief der Jude außer sich vor Zorn und von alledem erfahre ich nichts? Du willst also, daß ich Dich aus dem Hause jage?
– Verzeihung, Herr!
– Pack Dich!« erwiderte ihr streng der Greis.
Ganz verwirrt verließ die Alte das Zimmer.
»Sie sehen hieraus daß wir so schnell als möglich heiraten müssen! begann Andreas Certa. Doch mir ist Ruhe nöthig, und ich bitte Sie, mich allein zu lassen.«
Der Greis zog sich auf diese Worte leise zurück. Bevor er aber sein Bett aufsuchte, mußte er sich von dem Zustande seiner Tochter überzeugen, und trat vorsichtig in deren Zimmer ein. Sarah lag inmitten reicher seidener Draperien in unruhigem Schlummer. Eine Alabasterlampe, welche von den Arabesken der Decke herabhing, goß ihr mildes Licht hernieder, und das halboffene Fenster ließ die erquickende Nachtluft und den Wohlgeruch der Aloes und Magnolien durch die Rollläden einströmen. Ein kreolischer Luxus sprach aus tausend kleinen Kunstsachen, welche mit seinem Geschmacke auf den reich geschnitzten Etagèren des Zimmers vertheilt waren, und bei dem matten Schimmer der Nacht hätte man glauben sollen, daß die Seele des jungen Mädchens sich mitten unter allen diesen Wunderwerken ergötzen müßte.
Der Greis näherte sich Sarah’s Lager und beugte sich über sie, um ihren Schlummer zu beobachten. Die junge Jüdin schien von einem quälenden Gedanken gefoltert, und einmal kam auch der Name Martin Paz leise über ihre Lippen.
Samuel schlich nach seinem Zimmer zurück.
Mit den ersten Sonnenstrahlen sprang Sarah eiligst auf. Liberta, ein Neger, der zu ihrer speciellen Bedienung gehörte, eilte zu ihr, seine Befehle zu empfangen, und sattelte ein Maulthier für seine Herrin und ein Pferd für sich selbst.
Sarah pflegte häufig in Begleitung des ihr sehr ergebenen Dieners solche Morgenspazierritte zu unternehmen.
Sie legte ein braunes Kleid an nebst einem Kaschmirmantel mit großen Troddeln, bedeckte den Kopf mit breitrandigem Strohhute, unter dem ihre langen schwarzen Flechten hervorhingen, und zündete, um ihre Erregung besser zu verbergen, eine Cigarette von parfümirtem Tabak an.
Sobald sie im Sattel war, verließ sie die Stadt und ritt schnell über das Land auf dem Wege nach Callao zu. Der Hafen zeigte eine auffallende Bewegung. Die Küstenwache hatte während der Nacht mit der Goelette Annonciation zu thun gehabt, deren unentschiedene Manoeuvres eine betrügerische Absicht vermuthen ließen. Die Annonciation schien einige halbverdächtige Boote zu erwarten, doch noch bevor die Küstenwache sie erreichen konnte, vermochte sie zu entfliehen und den Booten derselben zu entgehen.
Ueber die Bestimmung dieser Goelette liefen die verschiedensten Gerüchte um. Die Einen meinten, sie führe Truppen aus Columbia und werde sich der Hauptgebäude Callaos zu bemächtigen suchen, um den den Soldaten Bolivar’s angethanen Schimpf zu rächen, welche aus Peru schmählich vertrieben worden waren.
Andere dagegen behaupteten, das Schiff befasse sich einfach mit dem Einpaschen von Wollenwaaren aus Europa.
Ohne sich um diese mehr oder weniger begründeten Neuigkeiten zu bekümmern, kehrte Sarah, deren Ritt nach dem Hafen ja nur als Vorwand dienen sollte, nach Lima zurück, das sie nahe den Ufern der Rimac erreichte.
Sie begab sich längs des Flusses hinauf bis zur Brücke. An verschiedenen Stellen des Ufers sah sie da noch mehrfache Ansammlungen von Soldaten und Mestizen.
Liberta hatte dem jungen Mädchen die Ereignisse der vergangenen Nacht mitgetheilt. Auf ihren Wunsch befragte er mehrere über das Geländer gelehnte Soldaten und hörte, daß Martin Paz nicht nur jedenfalls ertrunken sei, sondern daß man auch seinen Leichnam noch nicht aufgefunden habe.
Sarah, welche diese Nachricht tief ergriff, mußte alle Kräfte zusammen nehmen, sich von ihrem Schmerze nicht überwältigen zu lassen.
Unter den Leuten, die am Ufer hin und her liefen, bemerkte sie auch einen Indianer mit wild erregten Zügen; es war der Sambo, der eine Beute der Verzweiflung zu sein schien.
Als Sarah nahe dem alten Bergbewohner vorüberkam, hörte sie die Worte:
»O Unglück! O Unglück! Sie haben den Sohn des Sambo getödtet! Sie haben meinen Sohn getödtet!«
Das junge Mädchen wendete sich um und gab Liberta ein Zeichen, ihr zu folgen. Dies Mal begab sie sich, ohne Furcht,
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