Erzählungen
jedoch begab er sich nach der Frühmesse.
Es war das eine von der gesammten peruanischen Aristokratie beobachtete Gewohnheit. Von der Zeit seiner Gründung an war Lima eine wesentlich katholische Stadt; außer ihren zahlreichen Kirchen besaß sie noch zweiundzwanzig Convente, siebenzehn Klöster und vier Asyle für Frauen, welche kein Gelübde ablegten. Zu jeder dieser Anstalten gehörte eine Capelle, so daß in Lima mehr als hundert dem Gottesdienste gewidmete Gebäude vorhanden waren, in denen achthundert Weltgeistliche oder Ordensbrüder und dreihundert Klosterfrauen, Laienbrüder und Schwestern den heiligen Handlungen oblagen.
Als Don Vegal Santa-Anna betrat, bemerkte er ein betendes und in Thränen schwimmendes Mädchen auf den Knieen liegen. Nicht ohne Rührung vermochte der Marquis ihren Schmerz zu sehen, und wollte eben einige wohlwollende Worte an sie richten, als der Pater Joachim dazu kam und ihm mit leiser Stimme zuflüsterte:
»Don Vegal, um Gottes Barmherzigkeit willen, nähern Sie sich ihr nicht!«
Dann winkte der Priester Sarah, die ihm in eine halbdunkle und verlassene Capelle folgte.
Don Vegal begab sich nach dem Altare und hörte andächtig die Messe; als er zurückkehrte, dachte er unwillkürlich an jenes junge Mädchen, deren Bild sich ihm tief eingeprägt hatte.
Im Salon fand der Marquis den Juden Samuel, der auf seine Veranlassung gekommen war. Samuel schien die Ereignisse der Nacht vergessen zu haben. Die Hoffnung auf Gewinn belebte seine Züge.
»Was wünschen Ew. Gnaden? fragte er den Spanier.
– Ich brauche binnen einer Stunde 30,000 Piaster.
– Dreißigtausend Piaster! … Wer hat so viel im Besitz? … Beim heiligen König David, Señor, ich bin mehr in Verlegenheit, diese aufzutreiben, als Euer Gnaden das wohl glauben.
– Hier sind einige Schmuckkästchen von hohem Werthe, fuhr Don Begal fort, ohne sich um die Einrede des Juden zu kümmern. Außerdem verkaufe ich Euch zu billigem Preise ein tüchtiges Stück Land bei Cusco …
– O, Señor! rief der Jude, die Ländereien richten uns noch zu Grunde. Es fehlen die Hände, sie zu bebauen. Die Indianer ziehen sich in die Berge zurück, und die Ernten bezahlen kaum die darauf verwendeten Kosten.
– Wie hoch schätzt Ihr diese Diamanten?« fragte der Marquis.
Samuel zog eine kleine Juwelenwage aus der Tasche und wog die Edelsteine mit peinlichster Genauigkeit. Dazwischen sprach er, seiner Gewohnheit gemäß, halblaut vor sich hin und berechnete den Werth des Pfandes weit unter dem wirklichen Werthe.
»Diamanten! … Schlechte Capitalanlage! … Was bringen sie ein? … Da thut man besser, sein Geld zu vergraben! … Wollen Sie bemerken, Señor, daß dieser hier nicht von tadellos reinem Wasser ist … Wissen Sie auch, daß es mir unmöglich ist, diese kostbaren Geschmeide einigermaßen vortheilhaft an den Mann zu bringen? Ich muß sie bis nach den Vereinigten Staaten senden. Die Amerikaner nehmen sie mir wohl ab, doch nur, um sie den Söhnen Albions wieder zu verkaufen. Sie verlangen mit Recht hohe Commissionsgebühren, welche natürlich mir zur Last fallen … Ich denke, mit 10,000 Piaster werden Ew. Gnaden hierfür zufrieden sein! … Ich weiß, es ist wenig, aber …
– Habe ich schon gesagt, fiel der Spanier mit verächtlicher Miene ein, daß mir 10,000 Piaster nicht genügten?
– Señor, ich könnte auch keinen halben Realen mehr darauf legen.
– Nehmt die Juwelen und stellt mir sofort die Summe zu. Um die 30,000 Piaster, die ich brauche, voll zu machen, nehmt Ihr eine Hypothek auf dieses Haus … Erscheint sie Euch gesichert?
– Ah, Señor, in dieser von Erdbeben so oft heimgesuchten Stadt weiß man nicht, wer da lebt oder stirbt, noch wer stehen bleibt oder fällt!«
Bei diesen Worten trat Samuel wiederholt stärker mit den Fersen auf, wie um den getäfelten Fußboden auf seine Haltbarkeit zu prüfen.
»Doch, um Ehw. Gnaden zu Diensten zu sein, fuhr er fort, will ich mein Möglichstes thun, obwohl ich gerade jetzt darauf halten muß, mich nicht zu sehr auszugeben, weil ich meine Tochter eben an den Cavalier Andreas Certa verheirate … Sie kennen diesen, Señor?
– Ich kenne ihn nicht, und ersuche Euch nur, mir die stipulirte Summe zu senden. Nehmt die Kästchen mit fort.
– Wünschen Sie einen Empfangschein?« fragte der Jude.
Don Vegal antwortete gar nicht und begab sich nach dem anstoßenden Zimmer.
»Hochmüthiger Spanier, murmelte Samuel zwischen den Zähnen, Deine Unverschämtheit werde ich Dir
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