Erzählungen
Augenblick, daß sich ein Spalt unter ihnen aufthäte und sie verschlänge. So erwarteten sie in großer Angst den Anbruch des Tages, denn bis dahin konnten sie bei Lebensgefahr nicht wagen, einen Schritt zu thun, und mußten ausgestreckt liegen bleiben, um ihren Untergang zu vermeiden.
Beim ersten Tagesleuchten bot ihnen die Gegend ein völlig verändertes Bild; sie hatten am Abend vorher nur eine ungeheure, ebene Fläche gesehen, so weit ihr Auge reichte; jetzt war sie an tausend Stellen zerrissen, und die durch irgendwelche unterseeische Bewegung aufgewühlten Fluthen hatten sie zerschmettert und zerbrochen.
Johann Cornbutte dachte mit tiefer Bewegung an seine Brigg.
»Mein armes Schiff! es ist jedenfalls verloren!« rief er aus.
Die tiefste Verzweiflung malte sich auf den Zügen seiner Begleiter; zog ja der Untergang des Schiffes unvermeidlich ihren Tod nach sich!
»Muth, Freunde! rief Penellan; denkt daran, daß uns durch das Ereigniß dieser Nacht vielleicht ein Weg durch die Eisflächen gebahnt ist, auf dem wir die Brigg in die Ueberwinterungsbai führen können!
Die schwankende Bewegung dauerte beinahe zwei Minuten. (S. 199.)
Seht dort hin, ich habe mich nicht geirrt; schon jetzt ist uns die Jeune-Hardie um mindestens eine Meile näher gerückt!«
Alle stürzten nach der bezeichneten Richtung zu, und zwar so unvorsichtig, daß Turquiette in einen Spalt gerieth und unfehlbar seinen Untergang gefunden haben würde, hätte ihn nicht Johann Corubutte noch zu rechter Zeit an den Kleidern ergriffen und hervorgezogen. So kam er für dies Mal mit einem kalten Bade davon.
Die Brigg schwamm wirklich zwei Meilen näher vor dem Winde, und als die kleine Schaar nach endlosen Mühen bei ihr anlangte, fand man sie zwar in gutem Stande, aber ihr Steuerruder war von den Eisschollen zerbrochen. Man hatte versäumt, es emporzuheben.
Siebentes Capitel.
Vorkehrungen für die Ueberwinkerung.
Penellan hatte wieder einmal Recht gehabt. Alles in dieser Welt muß uns zum Besten dienen, und die Eiserschütterung hatte dem Schiff eine Fahrstraße bis zur Bai geschaffen. Die Seeleute brauchten nur noch die Strömungen geschickt zu benutzen, um die Eisschollen so zu steuern, daß sie sich ihren Weg selber bahnten.
Am 19. September warf die Brigg endlich, zwei Kabellängen vom Lande ab, in ihrer Ueberwinterungsbucht die Anker aus; und schon am folgenden Tage hatte sich bis dicht an ihren Rumpf Eis gelegt, das bald stark genug wurde, um einen Mann zu tragen. So konnte directe Communication mit dem Lande hergestellt werden.
Nach dem Brauch der arktischen Seefahrer wurde an dem Takelwerk keine Veränderung vorgenommen; die Segel lagen sorgsam zusammengewickelt und von ihren Futteralen umhüllt auf den Raaen, und das Krähennest ließ man bestehen, um von dort aus das Land beobachten und betreffenden Falls leichter bemerkt werden zu können.
Jetzt schon hob sich die Sonne kaum über den Horizont. Seit der Junisonnenwende hatten sich die von ihr beschriebenen Spiralen mehr und mehr gesenkt, und bald mußten sie ganz verschwinden.
Die Mannschaft beeilte sich, ihre Vorkehrungen zu treffen, und Penellan spielte hierbei die Rolle des erfahrenen Anordners. Bald war die Eisfläche um das Schiff so stark geworden, daß ihr Druck gefährlich zu werden drohte, aber Penellan wartete noch, denn seiner Meinung nach mußte sie erst zwanzig Fuß an Dicke erlangen, ehe er weiter operiren konnte. Dann erst ließ er das Eis schrägkantig um den Schiffsrumpf aushauen, so daß es sich unter demselben wieder schloß und seine Gestalt annahm. Die Brigg war nun in ein Bett eingekeilt und hatte den Druck der Eismassen nicht mehr zu fürchten denn diese konnten keine Bewegung mehr gegen das Schiff machen.
Nun errichteten die Seeleute längs der Barkhölzer und bis zur Höhe der Verschanzungen eine Schneemauer von fünf bis sechs Fuß Dicke, die alsbald hart wurde wie ein Felsen; durch diese Hülle konnte die innere Wärme nicht nach außen strahlen. Ein hermetisch verschlossenes und mit Fellen bedecktes Leinwandzelt wurde über die ganze Länge des Verdecks gespannt und bildete für die Mannschaft gewissermaßen einen Spazierplatz.
Auch erbaute man auf dem Lande von Schnee ein Magazin, in das alle Gegenstände aus dem Schiff geschafft wurden, die man vorläufig nicht gebraucht, und die unnöthig den Raum fortnahmen. Die Zwischenwände der Kajüte verschwanden, und es entstand je auf dem Vorder-und Hinterdeck ein geräumiges Zimmer, das erstens
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