Erzählungen
Rettung schwinden. Die Mannschaft der Jeune-Hardie sah voraus, daß sie mindestens zwei Monate lang zu strengem Casernement verurtheilt sein würde, und wenn dann das Eis wieder zu thauen begann, waren vollends alle Nachforschungen vergeblich, denn wenn Ludwig Cornbutte und seine Gefährten jetzt noch lebten, so konnten sie doch der Strenge eines arktischen Winters nicht ohne weitere Hilfe unmöglich Stand halten.
André Basling wußte das besser, als alle Andern und war fest entschlossen, der Expedition alle nur denkbaren Hindernisse in den Weg zu legen.
Am 20. October hatte man alle Vorbereitungen beendet, und es handelte sich nur noch darum, wer von der Mannschaft an dem Marsch theilnehmen sollte. Marie konnte der Obhut ihres Onkels oder Penellan’s nicht entbehren, und doch waren gerade diese Beiden bei der Expedition unumgänglich nothwendig.
So kam man zu der Frage, ob nicht das junge Mädchen die Strapazen der Reise mitmachen könne; hatte sie ja bis jetzt alle Prüfungen muthig, und ohne sehr darunter zu leiden, überwunden! Als Tochter eines Seemannes war sie ohnedies an die Gefahren des Meeres gewöhnt und schrak nicht vor den Schauern einer solchen Reise zurück. Auch Penellan glaubte, daß Marie, so wie die Dinge standen, am Besten thäte, sich der Reise anzuschließen.
Endlich war es entschieden – sie sollte die Expedition begleiten. Für den Nothfall reservirte man ihr einen Platz im Schlitten, auf dem eine gut verschlossene hölzerne Hütte angebracht war. Was das junge Mädchen anbetraf, so fügte sie sich dieser Bestimmung mit Freuden, denn so brauchte sie sich doch nicht von ihren Beschützern zu trennen.
An der Expedition betheiligten sich: Marie, Johann Cornbutte, Penellan, André Vasling, Aupie und Fidèle Misonne; Alain Turquiette aber wurde mit der Ueberwachung der Brigg betraut, und ihm hierzu Gervique und Gradlin zum Beistand gegeben.
Johann Cornbutte nahm bedeutende Proviantvorräthe mit, denn er hatte die Absicht, an seinem Wege Depots anzulegen, um die Reise so weit wie möglich ausdehnen zu können. Sobald der Schlitten fertig war, wurde er beladen und mit einem Zelt von Büffelfellen bedeckt. Das ganze Fahrzeug hatte jetzt ein Gewicht von etwa siebenhundert Pfund und ließ sich von fünf Hunden leicht auf dem Eise fortschaffen.
Am 22. October fand, wie der Kapitän voraus gesehen hatte, eine plötzliche Veränderung in der Temperatur statt. Der Himmel klärte sich auf, die Sterne strahlten in köstlichem Glanz, und der Mond leuchtete am Firmament, um vierzehn Tage lang nicht wieder zu verschwinden. Das Thermometer war auf fünfundzwanzig Grad unter Null gefallen.
Der Aufbruch war auf den folgenden Tag festgesetzt.
Neuntes Capitel.
Das Schneehaus.
Am 23. October um elf Uhr Morgens setzte sich bei schönem Mondschein die Karawane in Bewegung, und alle Vorsichtsmaßregeln waren dahin getroffen, daß sich die Reise, wenn es sein mußte, auf lange Zeit ausdehnen konnte. Johann Cornbutte gedachte der Küste in nördlicher Richtung zu folgen. Die Schritte der Reisenden ließen keine Spur auf ihren Wegen zurück, und Johann Cornbutte mußte sich mittelst in der Ferne gewählter Merkzeichen orientiren; bald schritt er auf einen in Pics auslaufenden Hügel zu, bald auf eine ungeheure Eisscholle, die der Druck empor gerichtet hatte.
Bei dem ersten Halt, den die kleine Schaar nach etwa fünfzehn Meilen machte, traf Penellan die Vorbereitungen zu einem Lagerplatz, indem er das Zelt an einen Eisblock lehnte. Marie litt nicht sehr von der Kälte, denn da die Brise sich glücklicherweise gelegt hatte, war die Temperatur weit milder geworden, aber mehrmals hatte sie den Schlitten verlassen müssen und war nebenher geschritten, um zu verhindern, daß die Circulation des Blutes in Stockung gerieth. Uebrigens bot ihre kleine Hütte, die Penellan auf’s Sorgfältigste hergerichtet hatte, so viel Bequemlichkeit, wie unter solchen Umständen nur irgend möglich.
Der Kapitän suchte ihnen die Situation klar zu machen. (S. 204.)
Als die Nacht oder vielmehr der Augenblick der Ruhe heran kam, wurde das Schlittenhäuschen unter das Zelt gebracht und diente dem jungen Mädchen zum Schlafzimmer Die Abendmahlzeit der Gesellschaft bestand aus frischem Fleisch, Pemmican und heißem Thee. Auch ließ Johann Cornbutte, um der furchtbaren Scorbutkrankheit entgegen zu wirken, an jeden Mann einige Tropfen Citronensaft vertheilen.
Die Karawane setzte sich in Bewegung. (S. 207.)
Nach
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