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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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leicht kenntliches Merkmal bezeichnet. An jedem Marschtage hatte der Kapitän ähnliche Depots auf seinem Wege hinterlassen, denn dies sicherte ihm Lebensmittel für die Rückkehr, ohne daß sie auf dem Schlitten weiter befördert werden brauchten.
    Die Abreise wurde auf den 5. November um zehn Uhr Morgens festgesetzt, und eine tiefe Traurigkeit hatte sich der ganzen Schaar bemächtigt. Als Marie sah, wie entmuthigt und verzweiflungsvoll ihr Onkel war, konnte sie ihre Thränen nicht zurück halten. Wie furchtbare vergebliche Leiden! wie unendlich viel verlorene Arbeit! Was Penellan anbetraf, so war er in einer ganz abscheulichen Laune; er fluchte und schalt auf alle Welt und versäumte keine Gelegenheit, seinen Gefährten ihre Schwäche und Feigheit vorzuhalten; er stellte ihnen Marie als Vorbild hin; sie wäre bis an’s Ende der Welt gegangen, ohne eine Klage laut werden zu lassen.
    André Vasling verhehlte seine Freude darüber, daß die Rückkehr schon jetzt stattfinden sollte, durchaus nicht; er bemühte sich mehr wie je um das junge Mädchen und suchte sie sogar mit der Hoffnung zu trösten, daß man die Nachforschungen, wenn der Winter vergangen, wieder aufnehmen könnte, obgleich ihm sehr wohl bewußt war, daß dann Alles zu spät sei.
Zehntes Capitel.
Lebendig begraben.
    Als die Reisegesellschaft am Abend vor der Rückkehr damit beschäftigt war, das Abendessen vorzubereiten, und Penellan eben einige Kisten als Feuerungsmaterial zusammen hieb, um sie in den Ofen zu stecken, füllte sich das Schneehaus plötzlich mit dichtem Rauch, und ein furchtbares Erdbeben erschütterte das Gebäude und seine Bewohner.
    Aber überall herrschte tiefe Dunkelheit, und nur ein entsetzlicher Sturm toste; dabei fiel der Schnee in dichten Wirbeln hernieder, und die Kälte war so groß, daß der Untersteuermann fühlte, wie ihm schnell beide Hände erfroren. Nachdem er sie tüchtig mit Schnee gerieben hatte, trat er eilig wieder in die Hütte.
    »Ein fürchterlicher Sturm! rief er; gebe der Himmel, daß unser Haus Stand hält, sonst sind wir verloren!«
    Zu derselben Zeit, wo die Windsbraut über das Land wegfegte, entstand auch ein donnerndes Geräusch unter dem eisesstarren Boden. Die an der Spitze des Vorgebirges zerbrochenen Eisschollen stießen krachend zusammen und stürzten über einander, der Wind wehte so gewaltig, daß es schien, als würde das ganze Hans von der Stelle gerückt, und ein unter diesen Breiten unerklärliches, phosphorescirendes Leuchten durchzuckte die schneegefüllte Luft.
    »Marie, Marie! rief Penellan und hielt das junge Mädchen an beiden Händen.
    – Es steht schlimm um uns! bemerkte Fidèle Misonne.
    – Gott allein weiß, ob wir davon kommen werden, versetzte Aupic.
    – Jedenfalls müssen wir dieses Schneehaus verlassen! rief André Vasling.
    – Das ist unmöglich, es friert zu furchtbar! entgegnete Penellan. Hier im Hause werden wir der Kälte vielleicht Stand halten können.
    – Gebt mir das Thermometer«, sagte André Vasling.
    Aupic reichte ihm das Instrument; es zeigte trotz des Feuers in der Hütte zehn Grad unter Null. Der Obersteuermann hob die Leinwand vor der Thüröffnung empor und streckte die Hand mit dem Thermometer hinaus; aber ehe er noch eine Beobachtung constatiren konnte, wehte ihm der Wind einen solchen Hagel von scharfen Eisstücken entgegen, daß das Instrument seiner Hand entglitt und niederfiel.
    »Nun, Herr Vasling, fragte Penellan; wollen Sie noch hinaus gehen?… Sie sehen wohl, daß hier im Hause der beste Zufluchtsort für uns ist.
    – Ja, und wir müssen alle nur denkbaren Anstrengungen machen, um das Gebäude innerlich zu stützen, fügte Johann Cornbutte hinzu.
    – Der Wind zerbricht das Eis unter uns, wie er die Eisschollen am Vorgebirge zerbrochen hat, und wir werden entweder fortgerissen oder versenkt.
    – Das scheint mir unmöglich, entgegnete Penellan, denn die Kälte ist so stark, daß alles Flüssige sofort gefriert. Laßt uns sehen, wie viel Grad Kälte wir haben.«
    Er hob die Leinwand ein wenig, so daß er den Arm durchstecken konnte, und es gelang ihm nach einiger Mühe, das Thermometer im Schnee zu finden. Als er das Instrument der Lampe näherte, sah er, daß es zweiunddreißig Grad unter Null wies; die stärkste Kälte, die man bis jetzt gehabt hatte.
    »Noch zehn Grad, und das Quecksilber würde gefrieren!« fügte André Vasling hinzu. Ein düsteres Schweigen folgte dieser Betrachtung.
    Gegen acht Uhr Morgens versuchte Penellan nochmals

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