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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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wandelnde Konversationslexikon genannt. Die Bücher haben dich verdorben. Was hast du vom Leben gekannt? Du bist doch jedem Kampf aus dem Weg gegangen. Jedem Streit. Wir haben uns – ja wirklich –, wir haben uns nie gestritten. Bis heute abend, und da hast du den Streit vom Zaun gebrochen, du bist gemein geworden, bis ich die kleine Pistole genommen habe – sie ist losgegangen, und dann bist du aufs Bett gefallen. Und wie ich mich über dich gebeugt hab', hast du mir die Waffe ganz sanft aus der Hand genommen, hast gelächelt – und das Lächeln ist auf deinem Gesicht geblieben. War das alles vorbereitet? War das dein Hochzeitsgeschenk?Dein Tod? Damit ich Ruhe habe? Antworte doch! Schweig nicht so verstockt. Ich will dir die Augen zudrücken ...
    Du hast brave Füsse gehabt. Ich habe immer gesagt, dass deine Füsse so brav aussehen. Richtige Kinderfüsse, im Ausdruck meine ich. Denn auch nackte Füsse können einen Ausdruck haben. Und einen lieben Rücken hast du gehabt. Ich hab' ihn gern gestreichelt. Es war warm bei dir, und ich habe immer so viel gefroren. Du warst ein guter Ofen ... Nun muss ich fast lachen, und eigentlich ist es doch traurig, dass du da so starr liegst, und deine Füsse sind streng und gerade aufgerichtet, gar nicht mehr wie früher ... Wach doch auf. Wir wollen ... ja, was wollen wir? Von neuem anfangen? Sechs Jahre sind eine lange Zeit im Leben einer Frau ... Und ich will Kinder haben, ich will einen Mann haben, ein Heim ... Kannst du mir das geben? Nein. Ich soll immer nur helfen. Und wenn du dann Geld hast, gehst du dich betrinken. Nein, wir wollen Schluss machen, ich hab' genug Geduld gehabt mit dir. Verstehst du? ... Ach, es hat ja keinen Sinn mehr.
    Geduld? Hab' ich wirklich soviel Geduld mit dir gehabt? War ich nicht auch manchmal unausstehlich? Du hast mir nie etwas davon gesagt, du warst überhaupt meistens still. Zu still. Du hättest mehr reden sollen, mehr unter die Menschen sollen. Du hattest gute Anlagen. Aber immer hast du behauptet, das interessiere dich nicht. Was hat dich eigentlich interessiert?
    Doch, das glaub' ich dir schon, dass du mich lieb gehabt hast. Du hast mir soviel komische Namen gegeben. Ich erinnere mich nicht an alle. Tiernamen waren es meistens. Nun, das ist eine alltägliche Sache, dass Verliebte sich »Täubchen« oder so ähnlich nennen. Warum hast du mich »Wolkenreh« getauft? Das hat doch keinen Sinn. Es klang schön, wenn du es sagtest, aber es war doch eine Kinderei. Wir waren immer kindisch zusammen. Haben wir manchmal auch ernst gesprochen? Ich glaube. Aber das hab' ich vergessen. Das Wolkenreh ... Seh' ich wirklichaus wie ein Reh? Ich bin doch eine robuste Frau, die weiss, was sie will, ich will hinauf kommen, nicht ewig unten vegetieren. Und darum heirate ich auch den Herrn Direktor, einen Mann, hörst du? Klärli nennt mich der Herr Direktor, und er wird mich immer Klärli nennen, später vielleicht »Mama« oder »Mutter«, wenn wir Kinder haben. Aber es wird ihm niemals einfallen, mich Wolkenreh zu nennen ...
    Er wird freundlich zu mir sein, der Herr Direktor, gelassen leidenschaftlich, ein Mann im besten Alter, aber ich werde mich hüten müssen, vor ihm zu weinen ... Er hat mir schon mitgeteilt, dass er hysterische Weiber hasst. Ich werde mir das hinter die Ohren schreiben. Vor dir hab' ich weinen dürfen, dann hast du mir die Haare gestreichelt und womöglich Morgenstern zitiert:
    Du bist sterben gegangen. Und auch das Wolkenreh ist nun tot. Weisst du, wenn ich recht zufrieden war und wir nebeneinander gelegen sind (und draussen hat's geregnet, auf das Glasdach von unserem kleinen Atelier hat der Regen getrommelt), dann hab' ich gesungen, ganz leise, für dich. »Ja, kann das Wolkenreh denn auch singen?« hast du gefragt. Und dann hab' ich weiter gesungen. So wie ein kleines Kind, wenn es ganz zufrieden ist. Es war eine merkwürdige Zeit. Erinnerst du dich, dass unsere Schrift fast gleich geworden war? Es hatte keiner die des andern nachgemacht. Die beiden Schriften waren aufeinander zugekommen, wie wir selbst, damals. Und auch getanzt haben wir zusammen, ganz allein, im Atelier, die Gasflamme hat gebrannt. Dort steht ja auch mein altes Grammo. Hast du die Hawaiian-Platten immer noch so gern? Ich fand sie schrecklich süss, aber du mochtest sie, und es liess sich gut dazu tanzen. Du hast nie gewollt, dass ich die Küche mache. Immer hast du selber gekocht und abgewaschen. »Du ruinierst dir nur die Finger«, hast du gesagt. Du hast gut

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