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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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auch niemand aus dem Haus gehen sehen. Morgen ... morgen werde ich heiraten. Er ist ein guter Kerl und hat mich lieb. Ich werde ein Heim haben und Kinder und die sechs Jahre vergessen, die ich mit dir verloren habe. Weisst du, sechs Jahre sind eine lange Zeit für eine Frau. Schau, ich bin jetzt schon neunundzwanzig, und wie habe ich mich mit dir herumgequält! Du bist wahrhaftig nicht jemand, mit dem man Staat machen kann, du bist kein Mann, auf den eine Frau stolz sein kann. Du brauchst gar nicht so niederträchtig zu lächeln. Hast du eigentlich meine Briefe verbrannt? Bei deiner bekannten Unordnung ...
    Ja, so anständig bist du gewesen ... Aber was ist das? Hast du das heut' abend geschrieben? Hast du denn gewusst? ... »Ich habe es satt. Ich mache Schluss. Da ich nichts besitze, ist auch ein Testament unnötig.« Und deine Unterschrift. Kurz und bündig, nicht sehr geschmackvoll. Warum nicht einige traurige Worte? Es hätte sich so schön in der Zeitung gemacht. So wird es nur zu lesen sein, ganz klein, unter»Unglücksfälle und Verbrechen«: »Gestern erschoss sich in seiner Wohnung ein gewisser N.N. Not wird wohl die Triebfeder dieser traurigen Tat gewesen sein.« Punkt. Schluss.
    Und unter »Gesellschaftliches« wird es heissen »Die bekannte Geigenkünstlerin X.Y. hat sich heute mit Herrn Direktor Soundso vermählt. Die Trauung fand statt und so weiter, und so weiter«. Ja, so wird es sein, denn heutzutage muss ja alles in der Zeitung stehen. Und niemand wird wissen, dass wir sechs Jahre zusammen waren. Denn dich kennt niemand, und ich war immer so vorsichtig ... Die Einzimmerwohnung hier hab' ich dir doch gemietet, du hast doch von meinem Geld gelebt, sechs Jahre lang. Nicht ganz. Im Anfang hast du ja auch etwas verdient und hast mir geholfen, als es mir schlecht ging. Aber nachher ... Um gerecht zu sein, muss ich ja sagen, dass ich dir immer freiwillig geholfen habe, du hast mich nie angebettelt. Aber faul warst du! Mein Gott! Immer hast du schlafen wollen, und wenn du schlafen wolltest, durfte ich nicht einmal üben. Wozu taugen solche Menschen wie du? Warum gibt es die auf der Welt? Verkommene, nutzlose Existenzen, da haben die rechtschaffenen Leute ganz recht, die Leute, die du immer Spiessbürger nanntest. Was hast du schon geleistet? Ein paar Gedichte, die schlecht sind, ein paar Kritiken, die unreif waren, unreif wie du ... Es ist dir ganz recht geschehen ... und glaub nur nicht, dass ich dir nachtrauern werde, du ... du ... Schmarotzer ...
    Die Männer, die richtigen Männer, die mitten im Leben stehen, die haben die Achseln über dich gezuckt. Und du bist ihnen aus dem Weg gegangen. Natürlich, du hast Furcht vor ihnen gehabt. Feig warst du. Nur mit Tieren, mit Kindern und alten Frauen, da fühltest du dich wohl. Weisst du noch, damals vor sechs Jahren? Ich hatte einen Hund. Der war sehr treu, er lief mir überall nach – aber kaum warst du im Haus, so wollte er nur bei dir sein. Hast du ihn verhext? Mit deinen Händen? Du hast so merkwürdige Hände, immer heiss und trocken. Ich habe deineHände sehr lieb gehabt. Jetzt sind sie kalt, jetzt werden sie niemanden mehr streicheln, nie mehr den Hals eines Pferdes tätscheln – weisst du noch, das Pferd von unserem Milchfuhrmann, es kannte dich, es drehte immer den Kopf, wenn du vorbeigingst ... Und dann nahmst du die Hände aus den Taschen, zogst es an der Mähne und sprachst zu ihm, viel besser als zu einem Menschen. Mit Menschen hast du nie gut reden können – ausser mit mir. Und eigentlich hast du manchmal ganz klug geredet. Du hast sogar etwas verstanden von Musik, ja, ich muss es zugeben, das Violinkonzert von Mozart, ich hätte es nie so gespielt, wenn du es mir nicht erklärt hättest; du hast mir damals den Schlüssel gegeben: »Ein Totentanz«, hast du gesagt, »du musst es wie einen fröhlichen Totentanz spielen. Der Tod ist fröhlich, weisst du das nicht?« Ich hab' mir dann Mühe gegeben, und dann haben die Kritiker etwas von ganz persönlicher Interpretation geschrieben. Diese Schafsköpfe.
    Ja, so hab' ich die Kritiker damals genannt. Und was hast du geantwortet? Du hast gesagt: »Ach, es sind auch nur arme Hunde. Warum sich über die Leute ärgern?« Für dich waren alle Leute arme Hunde. Ein bequemes Mittel, sich erhaben zu fühlen. Denn auf was hättest du dir etwas einbilden können? Auf nichts. Eine Null warst du ... Eine Null? ...
    Doch nicht so ganz. Du hast allerlei gewusst. Weisst du noch, im Anfang hab' ich dich immer das

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