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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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hundert Franken, was in der Währung Ihres Landes nur wenig macht. Und morgen werde ich die zehn Prozent beim Wirt einziehen, die zehn Prozent, die ich von unseren geleerten Flaschen zugute habe ... Die Putzfrau erscheint. Louis, der Herr will zahlen, er ist ein nobler Herr, du wirst zufrieden sein, Louis ...
    Und dann, mein Herr, vergessen Sie nicht, Berthe ein kleines Geschenk zu machen. Sie hat bei uns ausgeharrt – ein Mädchen hat an Ihrer Schulter geschlafen, diese Augenblicke werden eine schöne Erinnerung für Sie sein, Sie werden an Paris nicht als an einen Ort des Lasters denken ... Glauben Sie mir, die zarten Erinnerungen sind die schönsten ...
    Und Sie werden zurückkehren zu Ihrer Penelope. Denn dies sehe ich Ihnen an, Sie haben eine Penelope gefunden. Halten Sie sie fest, auch wenn Sie sie manchmal langweilig finden, auch wenn Sie sich sehnen nach Abwechslung, nach einer ... Nausikaa. Seien Sie dankbar, mein Herr, dankbar dem Schicksal, dankbar dem Leben. Sie haben die Sicherheit – auch wenn es Ihnen einmal schlecht geht – Jemand wird Ihnen zur Seite sein, der mit Ihnen steht und fällt ... Das ist viel, mein Herr, glauben Sie mir das, und dies ist die »moralité« meiner Geschichte ...
    Denn, mein Herr, ich bin Moralist. Ich kenne mich ein wenig aus in den Menschen. Sie traten so unternehmungslustig in dies Lokal. Sie wollten sich eine vergnügte Nacht leisten, mein Herr, einen kleinen Seitensprung. Die Frau wird es nie erfahren, dachten Sie. Penelope sitzt daheim und hütet Telemachos. Ich bin noch jung, dachten Sie, Abwechslung muss sein. Und Sie suchten mit den Augen nach einem hübschen Gesicht ...
    Nun, mein Herr, ich habe mich an Sie herangemacht. Ich habe Sie gezwungen, mir zu einem Porträt zu sitzen, ich habe Sie mit Berthe, dem Kinde, tanzen lassen, denn ich kenne Berthe, sie ist lieb und gut, sie kann reden, aber sie ist ungefährlich, wie jedes Mädchen, das daheim Kummerhat ... Und dann habe ich Sie festgehalten, die ganze lange Nacht ... Danke, Paul. Geben Sie Paul, dem Chasseur, auch ein Trinkgeld, er ist sechzehn Jahre alt und müde; siehst du, Paul, das ist ein nobler Herr, schlaf wohl, mein Junge ... Sagte ich Ihnen nicht, dass der Nebel dicht sein wird in den Strassen ... Wünschen Sie ein Taxi? ... Hole dem Herrn ein Taxi, Paul ... die ganze lange Nacht habe ich Sie festgehalten, mit meiner Erzählung von Nausikaa, und Sie haben gut zugehört ... Und glauben Sie, ich hätte dies getan, um hundert Franken für meine schlechte Zeichnung herauszuschinden? Weit gefehlt, mein Herr. Ich habe es getan, um Ihrer Penelope einen kleinen Dienst zu erweisen ... Sie sind kein Odysseus, Sie sind ein seriöser Herr, Sie sollen seriös bleiben ... Es klingt reichlich moralisch, ich weiss es. Aber glauben Sie, Ihre Frau hätte nichts gemerkt? Penelopen haben den Fehler, klug zu sein. Sie hätte es erraten, sie hätte nichts gesagt, aber sie hätte gelitten, mit einem kleinen Lächeln in den Mundwinkeln ... Sie sass den ganzen Abend neben Ihnen, haben Sie das nicht bemerkt? Ich habe sie gesehen, Ihre Penelope, sie hat grosse Augen, sie ist nicht schön, ihre Freundinnen behaupten, sie hätte Kuhaugen, und vergessen, dass Juno, die grosse Göttin, bei Homer immer die Kuhäugige heisst, was sicher ein Kompliment war ... Hier kommt Ihr Taxi, mein Herr, steigen Sie ein. Ich will dem Chauffeur noch sagen ... Hören Sie, Jean, überfordern Sie den Herrn nicht, er ist ein Freund von mir ... Wissen Sie, ich kenne alle Chauffeure hier in der Gegend ...
    Und nun schlafen Sie wohl, mein Herr, gehen Sie morgen Ihren Geschäften nach, bringen Sie Penelope das Bild, das ich von Ihnen gezeichnet habe ... Und grüssen Sie Madame sehr ehrfürchtig von einem, der auf Nausikaa hereingefallen ist ...

Totenklage
    Jetzt sind fünf Minuten vergangen, und niemand ist gekommen. Den Schuss hat also im Hause keiner gehört. So kann ich noch eine halbe Stunde bei dir sitzen und mit dir sprechen. Du hörst mich nicht mehr, und das ist gut so. Komm, ich will dir die blaue Pyjamajacke noch über der Brust schliessen, damit ich das kleine dunkle Loch nicht mehr sehen muss. Es hat fast gar nicht geblutet. Und der Browning, der aussieht wie ein Spielzeug, will ich dir in der Hand lassen. Wie hast du das zuwege gebracht, ihn mir noch aus der Hand zu nehmen? Ja, du warst immer geschickt.
    Morgen werden sie dich finden, und ich werde schon weit weg sein. Niemand hat mich kommen sehen, ich habe gut achtgegeben, und es wird mich

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