Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
uns einen Major – keine Felduniform angelegt hatte. Hinten im Schatten, kaum beleuchtet von der abgeblendeten Bogenlampe, öffneten sich Türen, die in die Kasematten führten. Diese Wohnräume der Truppe waren mit Steinböden bedeckt, darüber krümelte Erde, endlich kam Sand. Die Truppe war unbewaffnet. Dies sah ich erst, als der Kommandant ›Achtung, steht!‹ kommandierte. Dann standen die Männer reglos, deren Gesichter im Schatten der Helme unkennbar waren. Der hohe Offizier, der eine Galauniform des Friedens trug, sprach zu mir: ›Gehen Sie den Reihen entlang, Leutnant! Und bezeichnen Sie mir im ganzen fünfzig Mann!‹ – ›Wozu?‹ – ›Sie haben zu gehorchen und keine Fragen zu stellen! Verstanden?‹ Ich trug einen alten Mantel, und mein Säbel war in meinem Koffer zurückgeblieben. In der Hand hielt ich einen Spazierstock. Ich schritt die erste Reihe entlang und tippte mit meinem Spazierstock fünfzig Männern auf die Brust. Das Schweigen war drückend. Die Männer, deren Brust meine Stockspitze berührt hatte, traten vor, sie standen in einem Knäuel vor den beiden geradenReihen, vier nebeneinander, so, als warteten sie auf eine Revue.
    Ich wartete und fror. Meine Hände steckten in dünnen Handschuhen. Der Kommandant hob seinen Degen, er funkelte matt im Lichte der abgeblendeten Lampe. Da traten aus den Türen, die in die Kasematten führten, fünf Mann heraus. Ein Korporal gab leise Befehle. Einer seiner Begleiter trug auf der Schulter ein Maschinengewehr, der zweite den Dreifuss, der dritte zwei Kisten mit Munition. Die beiden letzten liessen ihre Hände baumeln.
    Der Korporal führte seine kleine Gruppe zu den fünfzig Mann, die ich ausgelesen hatte, und liess den Trupp von seinen vier Untergebenen einrahmen. Ein leiser Befehl, der Kommandant hatte die behandschuhten Hände über den Degenknauf gelegt, und die Klinge lag schief auf dem schwarzen Uniformrock... Medaillen schimmerten: das kupferne Kriegskreuz mit Palmen und Sternen, das Kreuz der Ehrenlegion und die runde Militärmedaille. Die von fünf Mann eingerahmten Fünfzig schritten mit ziehenden Schritten zur Mauer, stellten sich mit dem Rücken gegen sie und warteten. Der Dreifuss wurde aufgepflanzt, dreissig Meter von ihnen entfernt, das Maschinengewehr in die Gabel gelegt, eine Munitionskiste öffnete sich, ein Mann setzte sich auf den mit Schnee bedeckten Boden, den Rücken den Fünfzig zugekehrt; ein zweiter sass auf dem winzigen Sitz des Dreifusses. Kein Kommando. Eine Bande führte der auf dem Boden Hockende ein, der Schütze zielte nicht lange, dreissig Schüsse knatterten, eine zweite Bande führte der Lader ein, wieder dreissig Schüsse... Sie klangen nicht laut – eher kam es mir vor, als übe sich im Büro der technischen Hochschule ein Fräulein an der Schreibmaschine ... Eine neue Bande, eine Sekunde Ruhe, endlich die letzten dreissig Schüsse. Vor der Mauer lagen fünfzig Männer tot ...
    Ich stand unter der abgeblendeten Bogenlampe und stiess die Spitze meines Stockes in den Schnee, der Stock bog sich, schnellte auf; Schneeflocken kühlten meine Wangen ... Vorder Mauer gab der Korporal einen leisen Befehl, der Schütze hob das Maschinengewehr aus der Gabel, ein zweiter hob den Dreifuss, der auf dem Boden Hockende packte die leeren Munitionskisten und stand auf. Die Gruppe ging langsam über den Hof – selbst der Kommandant verlangte von ihr keinen Taktschritt...
    Ich ging auf den Offizier zu, dessen Hände noch immer auf dem Griff seines Degens lagen. ›Warum?‹ fragte ich. ›Meuterei!‹ krächzte der Kommandant. ›Wir hatten eine Meuterei. Sie ging so weit, dass Verrat im Spiele war. Zwei Spione haben drei Kanonen sabotiert. Wir konnten den Schuldigen nicht entdecken, der die beiden Feinde in die Festung eingelassen hatte. Ich habe sie alle verhört... die Verstockten. Da musste ich ein Exempel statuieren. Dezimieren war zu wenig – nur jeden Zehnten erschiessen? Jeder fünfte musste dran glauben! Der fünfte Teil von zweihundertfünfzig ist fünfzig. Verstehen Sie?‹ Es kam mir vor, als spreche der Mann mit zusammengebissenen Zähnen. Doch ein grauer Schnurrbart verbarg seinen Mund. ›Fünfzig... haben... daran... glauben... müssen... Ich war froh, dass Sie heute kamen, so musste ich nicht die Leute auswählen. Ich kenne sie alle. Sechs von den Toten sind verheiratet, Frauen und Kinder werden warten. Wie soll man Verrat bestrafen? Sagen Sie mir das, Leutnant!‹
    Von mir erhielt der alte Ordensträger keine

Weitere Kostenlose Bücher