Erziehen ohne Frust und Traenen

Übung und die fehlende »Ausbildung« verursachen angesichts der enormen Aufgabe, die wir vor uns haben, Unsicherheit und Hilflosigkeit. Wenn wir die Dinge in die Richtung zwingen wollen, die wir für richtig halten, kann dies Wut in uns verursachen.
    Dieser kleinen Person vertrauen lernen
    Kia, Mutter einer kleinen Tochter
    Bis vor einigen Monaten habe ich jeden Aspekt in Hannahs Leben fast zwanghaft kontrolliert. Erst als sie dagegen rebellierte, begriff ich, dass sie ein eigenständiger Mensch ist und eigene Ideen, Vorlieben und Ansichten hat! Erst heute wurde mir klar, dass ihr Verhaltenswandel sich nicht nur darauf bezog, was sie anziehen wollte oder dass sie nicht mehr auf mich hörte, sondern dass sie begann, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Ich denke, dass ein Teil meiner Wut daher rührt, dass ich Hannah nicht mehr allumfassend kontrollieren kann. Sie ist eine komplett andere Persönlichkeit als ich und als die Erwartung, die ich von ihr hatte – und dadurch habe ich mich infrage gestellt gefühlt. Es kommt mir vor, als wäre die Nabelschnur ein weiteres Mal durchtrennt worden. Ich muss jetzt begreifen, dass ich dieser kleinen Person, über die ich immer weniger Kontrolle habe, vertrauen muss, dass sie ihre eigenen richtigen Entscheidungen trifft – auf der Grundlage jener Instrumente, die ich ihr in den vergangenen zweieinhalb Jahren beigebracht habe. Dieser Gedanke lässt mich schlucken. Zum einen deshalb, weil ich es kaum glauben kann, dass sie eines Tages selbst fliegen können wird; zum anderen deshalb, weil ich das schon vor Monaten hätte erkennen können, als meine Wut und meine Frustrationen ihren Höhepunkt erreicht hatten.
    Die erste Hälfte von Hannahs zweitem Lebensjahr war ein Kinderspiel – ich verstand überhaupt nicht, warum alle Welt einen solchen Wirbel um dieses Alter veranstaltet. Nicht dass Hannah ein Engel war, aber wir kamen gut miteinander zurecht. Doch die zweite Hälfte ihres zweiten Lebensjahres war, nun, sagen wir schwierig und interessant. Plötzlich verwandelte sich mein kleines braves Mädchen in eine Diva, die nur machte, was ihr in den Kram passte. Der Vergleich mit einem sich bewegenden Ziel ist sehr zutreffend. Wenn ich gerade ein Problem gemeistert und Ungezogenheiten ausgemerzt hatte, ließ sie sich etwas Neues einfallen, und ich stand wieder ganz am Anfang. Ich bin wirklich dagegen, Kinder zu schlagen, aber ich muss gestehen, dass ich einige Male kurz davor war, es zu tun. Und auch das hat mich wütend gemacht.
    Es ist hilfreich, die Ursachen dieser Wut zu ergründen, das hat mir inzwischen schon sehr geholfen. Ich bin in der Lage, mich zu bremsen und zu fragen, woher die Wut in dieser Situation kommt. Dann erinnere ich mich immer wieder daran, dass mein Kind jetzt selbstständig wird – und dass dies ja eine wirklich gute Sache ist.
Fehlende Unterstützung
    In der Vergangenheit lebten die Menschen in Großfamilien zusammen und verließen ihre Geburtsorte oft ihr Leben lang nicht. Deshalb hatten junge Eltern ihre Großeltern, Tanten, Onkel, Geschwister und Freunde in ihrer Nähe, die sie in ihrer neuen Rolle unterstützten. Tauchte eine Schwierigkeit auf, waren gleich viele Helfer zur Stelle. Bei den heutigen Kleinfamilien und der erhöhten Mobilität hat man oft keine Verwandten in Reichweite – vielleicht lebt man sogar in unterschiedlichen Kontinenten. Häufige Umzüge bedeuten, dass enge Freundschaften seltener werden.
    Hinzu kommt, dass die Zahl der Alleinerziehenden stetig wächst; dieser Elternteil trägt die Hauptverantwortung für die Erziehung und den Haushalt, dazu kommt der finanzielle Druck. Fehlende Unterstützung und erhöhter Druck öffnen Stress und Wut die Pforten.
    Elternsein – ein einsamer Job
    Jane, Mutter zweier Kleinkinder
    Eltern von heute stehen unter enormem Druck, als perfekte Eltern zu funktionieren, haben aber nicht den notwendigen Rückhalt durch Freunde und Verwandte. Ihnen fehlen Unterstützung, erfahrener Rat und Menschen, die einfach da sind, wenn man sie braucht. Elternsein kann ein sehr einsamer, schwieriger Job sein.
Frustration, Konfusion und Enttäuschung
    Aufgrund des Drucks von vielen Seiten, über den wir gerade schon gesprochen haben, läuft vieles im Haushalt nicht immer rund und planmäßig. Wir können versuchen, uns der vielfältigen Erziehungsinstrumente aus unserem Repertoire zu bedienen; wir haben durchgeplante Tagesabläufe, wir handeln überlegt – und doch stehen wir plötzlich vor einem Kind, das