Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es begann in einer Winternacht

Es begann in einer Winternacht

Titel: Es begann in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
bist, Kleines?“, hatte er sie gefragt, und sie hatte leise mit ihm gesprochen und sein Haar gestreichelt.
    Beim ersten Morgenlicht wusch Evie sich, zog sich an und steckte ihr feuchtes Haar zu einem geflochtenen Knoten im Nacken hoch. Sie klingelte nach dem Zimmermädchen und bestellte pochierte Eier, Brühe, Tee und alle anderen für Kranke geeignete Speisen, die ihr einfielen, um den Appetit ihres Vaters anzuregen. Die Morgenstunden im Club waren ruhig und beschaulich, da die meisten Angestellten noch schliefen, nachdem sie bis in den frühen Morgen gearbeitet hatten. Doch es gab immer eine kleine Gruppe Angestellte, die für leichte Aufgaben zur Verfügung standen. Eine Köchin, die auch als Zimmermädchen diente, blieb in der Küche, wenn der Küchenchef weg war, und bereitete für die, die es wollten, einfache Speisen.
    Röchelnder Husten drang aus dem Zimmer ihres Vaters. Evie eilte an sein Bett und sah, wie er krampfartig in ein Taschentuch hustete. Es tat ihr selbst in den Lungen weh, als er gequält Luft holte. Hastig durchsuchte sie die Flaschen auf dem Nachttisch, fand den Morphiumsirup und füllte ihn auf einen Löffel. Sie schob einen Arm hinter den heißen, feuchten Nacken ihres Vaters und hob ihn in eine halb sitzende Position. Wieder stellte sie erschrocken fest, wie leicht er geworden war. Sie fühlte, wie sein Körper sich spannte, als er versuchte, weiteres Husten zu unterdrücken. Die Erschütterungen ließen den Löffel in ihrer Hand unruhig werden, und die Medizin tropfte auf die Bettdecke.
    „Es tut mir leid“, murmelte Evie und versuchte schnell, den klebrigen Sirup aufzuwischen und den Löffel neu zu füllen. „Versuchen wir es noch einmal, Papa.“ Es gelang ihm, die Medizin zu schlucken. Seine von Adern überzogene Kehle bewegte sich, als er schluckte. Dann, noch immer von einigen letzten Hustern geschüttelt, wartete er, während sie als Stütze Kissen in seinen Rücken schob.
    Evie legte ihn vorsichtig zurück und drückte ihm ein gefaltetes Taschentuch in die Hand. Sie starrte in sein abgemagertes Gesicht mit seinem grau gefleckten Bart und suchte nach irgendwelchen Anzeichen, dass dieser nicht wiederzuerkennende Fremde ihr Vater war. Er war immer so stark, robust, gesund gewesen. Nie hatte er sich unterhalten können, ohne wild seine Hände zu benutzen, Fäuste zu ballen, die Luft mit Gesten zu füllen, die typisch für Ex-Boxer waren. Nun war er nur noch ein blasser Schatten dieses Mannes, die Haut seines Gesichts grau und schlaff durch den schnellen Gewichtsverlust. Aber die blauen Augen waren noch immer dieselben … rund und dunkel, von der Farbe der Irischen See. Evie fand Trost in der Vertrautheit dieser Augen und lächelte.
    „Ich habe nach Frühstück geschickt“, sagte sie. „Ich denke, es wird gleich kommen.“
    Jenner schüttelte leicht den Kopf, um zu bedeuten, dass er kein Essen wollte.
    „Oh, doch“, beharrte Evie, die neben ihm auf der Bettkante saß. „Du musst etwas essen, Papa.“ Sie nahm die Ecke eines Tuchs und tupfte einen Tropfen Blut weg, der sich in seinem Mundwinkel verfangen hatte.
    Eine tiefe Falte zeigte sich zwischen seinen grau werdenden Augenbrauen. „Die Maybricks“, sagte er mit heiserer Stimme. „Werden sie kommen, um dich zurückzuholen, Evie?“
    Ihr Lächeln war voll grimmiger Genugtuung. „Ich werde nie wieder zu ihnen zurückgehen müssen. Ich bin vor einigen Tagen nach Gretna Green durchgebrannt und habe g-geheiratet. Sie haben jetzt keine Macht mehr über mich.“
    Jenners Augen weiteten sich. „Wen?“, fragte er kurz.
    „Lord St. Vincent.“
    Es klopfte an der Tür, und das Hausmädchen kam mit einem beladenen Tablett hinein. Evie stand auf, um ihr zu helfen, und räumte einige Gegenstände vom Nachttisch. Sie sah, wie ihr Vater bei dem Geruch des Essens, fade wie es war, schauderte, und verzog voller Mitgefühl das Gesicht. „Es tut mir leid, Papa. Du musst wenigstens ein wenig Brühe essen.“ Sie drapierte eine Serviette über seine Brust und hob die Tasse mit warmer Bouillon an seine Lippen. Er nahm einige kleine Schlucke, lehnte sich wieder zurück und sah sie an, während sie ihm den Mund abtupfte. Evie wusste, dass er darauf wartete, dass sie die Situation erklärte, und lächelte reumütig. Sie hatte darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, wie unnötig es war, für ihn eine Liebesgeschichte vorzutäuschen. Ihr Vater war ein praktischer Mann, und es wäre ihm vermutlich nie in den Sinn gekommen, dass

Weitere Kostenlose Bücher