Es duftet nach Liebe (German Edition)
tief im Osten unterwegs sind, dass es noch gar nicht so lange her ist, als dieser Teil hinter dem Eisernen Vorhang verborgen war. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht wirklich viel darüber. Es spielte in meinem Leben bisher keine Rolle. Ich kenne die Bilder, die wohl jeder kennt, habe die Begeisterung gesehen, die Euphorie …
Ich kann mich erinnern, dass mein Vater eine Zeit lang über die Ossis meckerte, aber eigentlich sind meine Eltern nicht besonders politisch interessiert. Sie führen ein typisch kleinbürgerliches Leben, wählen vermutlich seit Jahren die gleiche Partei und regen sich höchstens darüber auf, wenn der Nachbar in der Mittagszeit den Rasen mäht.
„Und mit dieser Information wartest du bis jetzt?“ Ich spüre eine seltsame Mischung zwischen Wut und Aufregung in mir aufsteigen.
Ein Blick auf das Navi verrät mir, dass wir keine Stunde mehr brauchen, bis wir bei seinen Eltern sind.
„Ich fasse es nicht!“, fluche ich und schlage auf das Lenkrad. „Wie hast du dir das alles vorgestellt und welche Rolle hast du mir dabei zugedacht?“
Christian rutscht unruhig auf seinem Sitz hin und her. Aus den Augenwinkeln kann ich erkennen, dass sämtliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen ist. Er zuckt ratlos mit den Schultern.
„Ich habe nicht darüber nachgedacht“, flüstert er schließlich. „Ich wollte einfach nicht allein fahren. Ich wollte dich so gern dabei haben …“ Christian bricht ab, seufzt leise. Vermutlich kaut er nervös auf seiner Unterlippe herum.
Ich kann nichts gegen das warme Gefühl in meinem Inneren machen. Ich will ihn nicht verunsichern, aber ich verstehe einfach nicht, wieso er mich so auflaufen lässt.
„Das geht nicht!“, fauche ich.
In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Alles in mir schreit danach, die nächste Ausfahrt zu nehmen und umzudrehen. Einzig die Aussicht, noch einmal drei Stunden unterwegs zu sein, hält mich davon ab. Trotzdem starre ich das blaue Schild, das die nächste Ausfahrt anzeigt, länger als nötig an. Ich könnte mir ein Hotelzimmer suchen und morgen nach Hause fahren. Und Christian … Es sollte mir echt egal sein, wie er zu seinen Eltern gelangt.
„Bitte nicht“, wimmert er und legt seine Hand auf mein Bein. Mein erster Impuls ist, sie wegzuschieben, aber dann lege ich meine Hand auf seine. Sie ist ganz kalt. Das Vibrieren in seinen Fingern kommt nicht allein durch das Fahren. Christian zittert.
„Christian!“, zische ich ihn an und fühle mich nahezu ohnmächtig. „Wir sind gleich bei deinen Eltern und du hast noch nicht darüber nachgedacht? Als was willst du mich denn vorstellen?“
„Du bist mein Freund“, erwidert er trotzig.
„Freund? Deine Eltern werden begeistert sein. Wissen sie überhaupt, dass du nicht allein kommst, oder wird das noch eine zusätzliche Überraschung?“
„Das wissen sie“, sagt er hastig.
„Und was hast du erzählt?“, frage ich neugierig.
„Also … ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich jemanden mitbringe, der mir … der mir viel bedeutet.“ Am Ende wird seine Stimme so leise, dass ich versucht bin, das Radio ganz auszuschalten. Nur mein Herz hat jedes seiner Worte deutlich verstanden. Jemand, der ihm viel bedeutet. Verdammt, damit kriegt er mich. Denn mir geht es genauso. Noch niemals habe ich mich zu jemandem dermaßen hingezogen gefühlt.
„Und dein Vater? Ich meine, wenn er nicht weiß, dass du schwul bist. Wie soll ich mich verhalten?“ In Gedanken sehe ich es bereits deutlich vor mir. Drei Tage ohne Küssen, Berührungen. Jeden Tag ein verdammtes Schmierentheater. Etwas, was ich für mich vollkommen ausgeschlossen habe. Ich bin immer ehrlich mit meiner Sexualität umgegangen. Und nun verlangt dieser Kerl neben mir, dass ich all meine Vorsätze vergesse, dass ich ein ganzes Wochenende lüge.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann“, erwidere ich tonlos.
Spontan setze ich den Blinker und steuere den Parkplatz an, der vor einem Kilometer angekündigt wurde. Ich brauche frische Luft, muss meine Gedanken sortieren, ohne gleichzeitig auf den Verkehr zu achten.
Ich nehme gleich die erste Parknische, stelle den Motor ab, umklammere mit den Händen das Lenkrad und lehne meinen Kopf nach hinten.
Der Parkplatz ist fast leer. Nur ein paar Autos und ein LKW stehen weiter hinten. Es ist ziemlich schmuddelig und düster. Man könnte es fast für einen Crusingparkplatz halten. Wären die Umstände anders …, aber so habe ich im Moment wirklich keine Lust auf
Weitere Kostenlose Bücher