Es duftet nach Liebe (German Edition)
aus.
Ich weiß nicht, warum ich mir das antue. Anscheinend bin ich auf der Stelle festgewachsen.
In meiner Hand halte ich ein Glas mit Kirschwein. Er erscheint mir stärker, als der von gestern Abend.
Meine Gedanken laufen Amok und ich würde es ihnen gern gleichtun.
„Komm mal mit“, sagt Christians Vater plötzlich.
Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er sich neben mich gestellt hat. Fragend sehe ich ihn an, aber er lächelt und geht voran. Bei den ersten Schritten schwanke ich leicht, aber dann habe ich mich wieder im Griff.
Wir gehen ins Innere des Hauses. Jetzt kommt es mir noch dunkler darin vor.
Der Vater lotst mich in ein Zimmer, schließt die Tür hinter mir.
„Ich hatte den Eindruck, du könntest ein wenig Luftveränderung gebrauchen", sagt er leise. Er duzt mich. Nicht, dass es mich stören würde, ganz im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, das er mich versteht … irgendwie auf meiner Seite ist. Seit wann gibt es Seiten und wo steht Christian in diesem Fall?
Ich sehe mich im Raum um. Als Erstes fallen mir die vielen Urkunden an den Wänden auf. Dazu Zeitungsausschnitte, Bilder … alles schon ein wenig vergilbt. Auf der kleinen Anbauwand liegen Medaillen in samtenen Kästchen. Es wirkt fast wie ein Museum. Ob das das Zimmer ist, von dem Christian vorhin geredet hat?
Neugierig gehe ich näher heran.
„Das ist, nein, das war mein Leben“, sagt der Vater und klingt wütend und traurig zugleich.
„Ich dachte, ich würde den Sozialismus mit aufbauen … habe dafür gesorgt, dass die Maschinen am Laufen blieben, neue Vorschläge gemacht … habe mich für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt und gleichzeitig die Produktivität erhöht. Held der Arbeit, Kollektiv der sozialistischen Arbeit … all die Auszeichnungen und Ehrennadeln … auf einmal war das alles nichts mehr wert. Der Betrieb wird über Nacht abgewickelt, es gibt keine Verwendung mehr für jemanden wie mich.“
Er verstummt. Ich fühle mich seltsam, weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich überhaupt etwas sagen könnte, denn mein Mund ist ganz trocken.
Davon einmal abgesehen, habe ich von all diesen Dingen keine Ahnung.
„Das tut mir leid“, sage ich schließlich.
Meine Stimme krächzt. Ich muss mich räuspern und halte dabei den Blick starr auf die Wand gerichtet. Ich lese immer wieder seinen Namen, sehe einen Mann auf Zeitungsausschnitten, der wie Christian aussieht … einmal abgesehen von den Klamotten. Grinsend betrachte ich das Bild näher.
„Ist das? Sind … Sie das mit … Erich Honecker?“
„Ja, das war 1988. Wir haben eine neue Maschinenanlage entwickelt. Sie war einzigartig in der DDR. Zur Einweihung kam er persönlich. Schließlich wurde das meiste in den Westen exportiert. Dafür wurde ich Held der Republik und der Betrieb erhielt das Banner der Arbeit. Hing ja auch immer ordentlich Geld dran. Ich habe damals das Grundstück dafür gekauft.“
Ich habe das Gefühl, hier wird ein Stück Geschichte lebendig, auch wenn ich nicht ganz verstehe, wieso er mir gerade jetzt davon erzählt.
„Ich habe den Absprung verpasst, habe es nicht geschafft, mich an das neue Leben zu gewöhnen. Ich konnte nicht damit umgehen, dass mein Wissen plötzlich nicht mehr gebraucht wurde, nichts mehr wert zu sein schien.“
„Das tut mir leid“, murmle ich erneut.
„Das muss es nicht. Du kannst ja nichts dafür“, erwidert er grinsend.
„Aber eigentlich … ich weiß, dass ich mich nicht gut um meinen Sohn gekümmert habe. Am Anfang war ich überfordert. Natürlich habe ich mich gefreut, als Renate schwanger war. Meine erste Frau konnte keine Kinder bekommen. Es war für mich ein unfassbares Glück. Aber dann haben mich die Ereignisse einfach überrollt.“
Er seufzt, öffnet einen Schrank und holt eine Flasche und zwei Gläser hervor.
„Ich hoffe, es ist kein Kirschlikör“, rutscht mir heraus. Ich will diesen Geruch jetzt wirklich nicht in der Nase haben.
„Nein“, sagt er lachend. „Das ist ein guter Kräuterschnaps. Ich finde, den können wir jetzt gebrauchen.“
„Warum?“
„Nur weil ich die ersten Jahre verpasst habe, heißt es nicht, dass ich meinen Sohn nicht lieben würde. Aber ich gebe zu, dass ich mich gegen meine Frau nicht genügend durchgesetzt habe. Dafür gibt es keine logischen Gründe. Vielleicht war ich zu bequem, zu alt oder der Widerstand war mir zu groß. Ich wollte nicht kämpfen. Trotzdem war ich da, habe ihn beobachtet und schon früh erkannt, was mit
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