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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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mit Asja an, in einem Raum, in dem zahlreiche 50-Liter-Milchkannen und eine tischgroße Milchschleuder stehen. Die Details der Verführung sind die üblichen, und wie nicht anders zu erwarten in solchen Träumen, gefällt der Frau, was Philipp mit ihr macht. Sie schreit vor Glück, was Philipp besonders beeindruckt wie überhaupt die ganze Person: Sie ist etwa 25 Jahre alt, dunkelhaarig, hat ein sehr eigenwilliges, großflächiges Gesicht, hohe Backenknochen, hängende Oberlider und eine leicht vorgespitzte Oberlippe. Sie ist mittelgroß, praktisch ohne Busen, hat aber die obersten zwei Knöpfe offen, was den fehlenden Busen irgendwie wettmacht, als bestehe darin, daß nichts versprochen wird, der eigentliche Reiz. Tatsächlich hat Philipp das Gefühl, daß ihm von Atamanovs Braut etwas verweigert wird, als wäre es ihre Entscheidung, eine Art Hochnäsigkeit, keinen Busen zu besitzen. Diese Empfindung verwirrt ihn, und plötzlich steht Atamanovs Braut in einiger Entfernung zu ihm, wieder zur Gänze bekleidet, und er begreift, weiterhin im Traum, daß der Traum während seiner Verwirrung einen Sprung gemacht und ihn um das Ende des Geschlechtsverkehrs gebracht hat. Philipp und Asja verlassen den Raum. Atamanovs Braut trägt jetzt eine abgewetzte Lederjacke, in der sie aussieht wie eine Parteigenossin zur Zeit der Klassenkämpfe. Sie strahlt etwas Entschlossenes und Überzeugtes aus, das Philipp neidisch macht, so daß er Lust bekommt, Kommunist zu werden, einen roten Paß zu besitzen und so einen Ausweg zu finden für seine Misere. Das sagt er Atamanovs Braut, bereits in einem der Ställe, und einen Augenblick lang ist ihm, als müsse er in Tränen ausbrechen vor lauter Rührung über die Tiefe und Tragweite seiner Gefühle. Doch Atamanovs Braut schaut ihn lediglich kurz an und sagt dann:
    – Von Politik verstehe ich nichts.
    Von diesem Traum hochgradig irritiert und gewillt, in Zukunft ein besserer Mensch zu sein, geht Philipp in der Früh zuallererst zum Papiercontainer, um vom geschriebenen Nachlaß seiner Großmutter zu retten, was sich noch findet (zielstrebig werde ich werden, verantwortungsvoll, das Erz der Vergangenheit abbauend). Aber nein, nein, er hat kein Glück. Kein Glück. Der eine wirft’s weg, der andere zerrt’s wieder raus. Außer ein paar vergilbten Betriebsanleitungen (Staubsauger, UV-Lampe, Mixgerät, Fernseher) und einer verrutschten Postkarte aus den fünfziger Jahren, die ein Lappländerpaar in Tracht beim Rentiermelken abbildet (Renmjölkning), hat alles Persönliche und auch sämtliche Bücher, die er weggeschmissen hat, den Interessenten gefunden, der er selbst nicht war. Niedergeschlagen und mit dem Wissen, daß die Zusammenhänge nicht mehr herstellbar sein werden, setzt er sich auf die Vortreppe und ruft sich Einzelheiten der Briefe, die er gelesen hat, ins Gedächtnis zurück.
    Philipp geht nur mit Widerstand in den Kindergarten.
    Ihm offenbart sich nicht ganz, wieviel Realität diese Bemerkung für ihn noch besitzt, ob er mehr als dreißig Jahre später, während er den Satz wiederholt, den Widerstand aufgegeben hat und vorwärtskommt oder freiwillig geht oder gehen will oder nicht mehr gehen muß.
    Er wartet, er weiß nicht worauf.
    Gegen zehn kommt die Postbotin. Philipp küßt sie wie schon öfters und wieder im Blickschatten der Mauer. Dann fragt er sie (inspiriert von einem Roman Wilhelm Raabes), wie viele Kilometer sie von Berufs wegen pro Tag zurücklege.
    – Etwa zehn, gibt sie zur Antwort.
    Er sagt ihr, angestrengt rechnend, daß sie, anstatt die Erde zu umrunden, wofür sie bei zehn Kilometern pro Tag wenig mehr als zehn Jahre bräuchte (da wäre sie Ende dreißig): daß sie statt dessen am Fleck trete. Sie komme trotz der vielen Kilometer, die sie mit ihrem Postkarren zurücklege, aus Wien nicht hinaus, nicht einmal aus dem dreizehnten Bezirk. Sie überlegt einen Moment, verständnislos, dann sagt sie mit gleichgültiger Miene, daß ihr das egal sei, sie wolle lieber noch ein wenig schmusen statt reden. Als ob Philipp um des Redens willen geredet hätte. Sie küssen einander noch ein wenig . Aber das ist nichts, was Boden unter den Füßen hätte. Es überrascht Philipp, wie kalt ihn die Berührungen lassen, die ihm die Postbotin gestattet.
    Betrug und Verrat sollen das letzte Auflodern und somit die letzte Hoffnung der Liebe sein. Heißt es. Aber Philipp kehrt ebenso niedergeschlagen zur Vortreppe zurück wie er sie verlassen hat. Blitze zucken, es beginnt zu regnen.

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