Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
Vom Netzwerk:
zusammen, obwohl er es nicht mag, wenn er sich zusammenreißen muß.
    – Das ist auch so ein Weg zur Verlogenheit, wenn man sich zusammenreißt, sagt er zu sich und stemmt sich von der Vortreppe hoch.
    Seine Runde entlang der Gartenmauer beginnt er neuerdings im Norden, denn seit bei diesen Nachbarn der Swimmingpool gefüllt ist, macht er sich Hoffnung, dort endlich einmal jemanden anzutreffen. Sonnenschirme sind aufgespannt. Weiße Gummischlapfen liegen herum. Diesmal treibt sogar ein aufblasbarer Plastikdampfer im Wasser, dessen Schaukeln darauf hindeuten könnte, daß unmittelbar vor Philipps Erscheinen ein Schulmädchen oder ein Bankdirektor in dem Wasser geschwommen ist. Aber die Bewohner sind weiterhin unsichtbar oder verstorben oder hinterhältig, oder sie haben viel zu tun oder beaufsichtigen die Putzfrau oder fluchen auf ihre Ehepartner oder rechnen und verrühren Dinge in Töpfen oder stöhnen und keuchen, weil das Wochenende vor der Tür steht, übereinander oder hintereinander, und kleben von Schweiß oder epilieren die Beine oder schreiben Naturlyrik oder üben Tonleitern hinter schalldichten Fenstern, mit der Trompete zum Beispiel.
    Im nächsten Garten hat Philipp mehr Glück. Dort, wo er vor Wochen mit einer Drahtbürste bedroht worden ist, sitzt an diesem Nachmittag eine junge Frau auf einer Wolldecke im Rasen und liest. Eine Rothaarige mit Sommersprossen. Sie bemerkt Philipp nicht, entweder weil er kaum Geräusche macht oder weil sie so in ihre Lektüre vertieft ist, daß sie ihre Umgebung nicht wahrnimmt. Philipp schaut ihr eine Weile zu. Irgendwann ruft er sie an und fragt, was das für ein Buch sei.
    Sie sieht auf, ohne sonderlich überrascht zu sein, hält das Buch hoch, aber aufgrund der zu großen Entfernung kann Philipp nicht erkennen, was es ist.
    – Ist es gut? fragt er.
    Die Frau macht eine vage Handbewegung, die entweder nicht viel besagt oder dem Buch kein allzu gutes Zeugnis ausstellt.
    Also bietet Philipp Lektüre aus seinem Fundus an, die Frau könne über die Mauer klettern und sich ein Buch aussuchen.
    – Geht nicht, ruft sie, froh um ein gutes Argument: Ich bin schwanger.
    Diese Auskunft trifft Philipp unvermittelt. Er denkt, da ist mir schon wieder einer zuvorgekommen, du versäumst alles, sie ist schwanger, und bei dir ist gar nichts.
    Die Frau sagt:
    – Zwillinge.
    – Bitte?
    – Ich bekomme Zwillinge, ruft sie und freut sich, als ob sie eben erst davon erfahren hätte.
    Philipp freut sich ebenfalls, denn daß eine Frau mit Zwillingen schwanger ist, hat er bisher noch nie erzählt bekommen.
    – Ja großartig, ruft er: Und weiß man, wer der Vater ist?
    Die Frau lacht, wird ein wenig rot. Sie schüttelt den Kopf, aber so, daß klar ist, daß sie damit Philipps Frage nicht beantworten, sondern lediglich kommentieren will. Philipp lacht zurück. Das Lachen schmerzt ihn an den Ellbogen, und er muß sich ein wenig hochstrampeln, damit er in eine bequemere Position kommt. Dabei verliert er den rechten Gummistiefel. Dann liegt er mit dem Bauch auf den Dachziegeln, mit denen die Mauer, zum Haus hin schräg abfallend, gedeckt ist, und zwar so, daß der Oberkörper über die Mauer ragt, als stecke der unsichtbare Rest in einer himmelwärts gerichteten Kanone. Philipp weiß nicht, was er mit seinen Händen anfangen soll, und fühlt sich seltsam abseitig oder kommt sich sehr dumm vor oder einem Traum entsprungen und sagt, um von seiner mißlichen Situation abzulenken:
    – Könnte ja sein, daß ich der Glückliche bin.
    Die Frau schaut ihn durch eine Locke hindurch neugierig an, als sei der Gedanke eine Überlegung wert, dann sagt sie:
    – Sie sind es nicht.
    Aber es wäre möglich gewesen, denkt er. Freilich, das Mögliche in der Vergangenheitsform ist das Vergebliche. Trotzdem ist Philipp zufrieden mit der Antwort.
    Sie unterhalten sich eine Weile über Zwillinge, wie das sein wird, wenn beide Kinder krabbeln können, gleichzeitig in verschiedene Richtungen. Aber der mangelnde Komfort auf der Mauer raubt Philipp nach einiger Zeit die Luft, er bekommt starke Schmerzen an den Rippen, so daß er das Gespräch beenden muß. Die Frau nickt, als er seinen Abgang ankündigt. Sie greift mechanisch nach ihrem Buch, läßt Philipp aber nicht aus den Augen, bis er hinter der Mauer verschwunden ist.
    Eigentlich ist Philipp auf allen Mauern seines Lebens eine Randfigur, eigentlich besteht alles, was er macht, aus Fußnoten, und der Text dazu fehlt. Etwas in der Art, etwas in dieser

Weitere Kostenlose Bücher