Es geschah in einer Sommernacht
Einmal wollte er mich verhauen, aber er hat es nicht geschafft.“ Ronan blickt in Marinas weit geöffnete Augen und versuchte, ihre Gedanken zu erraten. Sie war überrascht. Aber es lag noch etwas anderes in ihrem Blick. War es Abscheu?
„Von da an waren wir Gegner: Im Unterricht, im Sport, einfach überall.“ Er machte eine Pause, weil er daran dachte, wie brutal Wakefield schon damals gewesen war. Hauptsache, er gewann. Er war schon als Junge verschlagen gewesen, und mit den Jahren war es nicht besser geworden.
„Und im letzten Schuljahr ging es um ein Mädchen.“
„Ihre Freundin?“
„Nein, seine. Er hat mit ihr Schluss gemacht. Sie war traurig, er nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt …“ Ronan warf Marina einen finsteren Blick zu. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie verstand, was er meinte.
„Ihr Bruder war ein Freund von mir. Aber Wakefield bildete sich ein, dass ich etwas mit dem Mädchen hatte. Auch wenn er sie nicht wollte, so sollte sie trotzdem kein anderer haben. Er warnte mich.“ Ronan zuckte die Achseln. „Ich habe ihn nicht weiter beachtet, und da wurde er böse. Er konnte weder ihr noch mir etwas tun. Aber da war ja noch ihr kleiner Bruder. Sie fanden ihn eines Nachts, blutend und brutal zusammengeschlagen.“
Marina holte erschrocken Luft, und Ronan nickte. Er erinnerte sich nur zu gut an die furchtbare Nacht, in der Simon ins Krankenhaus gebracht wurde. Und an seine eigene unbändige Wut.
„Der Junge behauptete, er hätte seine Angreifer nicht erkannt. Aber Wakefield sorgte dafür, dass ich erfuhr, wer dahinter steckte. Unter vier Augen natürlich.“
„Das ist ein Scherz!“, stieß Marina hervor. „Er muss ja verrückt sein!“
Ronan senkte den Kopf. „Das ist er, wenn ihn der Zorn packt.“ Schade, dass dieser Bastard nicht schon vor Jahren beim Psychiater gelandet war. Dann hätte er nicht noch mehr unschuldige Opfer gefunden.
Im Raum war es ganz still, während Ronan seine Geschichte auf Marina wirken ließ. Sie kauerte in ihrem Sessel, hatte die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen.
Gut. Es wurde Zeit, dass sie endlich merkte, wie gefährlich Wakefield war. Gestern auf der Party hatte Ronan sie zwar für ihren Mut bewundert, aber sie war sich gar nicht darüber im Klaren, mit was für einem Monster sie es aufgenommen hatte.
„Bis vor Kurzem hatten wir kaum etwas miteinander zu tun. Aber seit ein paar Wochen habe ich ein Auge auf ihn – aus verschiedenen Gründen. Unsere geschäftlichen Interessen waren immer sehr verschieden, aber in den letzten Monaten hat Wakefield in meinem Terrain herumgeschnüffelt und versucht, in die Transportindustrie einzusteigen.“
Ronan hatte sein Imperium auf einem einfachen Lufttransportunternehmen aufgebaut. Und er war sicher, dass Charles Wakefield genau darauf scharf war.
Marinas Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, als ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde.
„Sie sehen den Zusammenhang?“ Er nickte zufrieden. „Es ist kein Zufall, dass er jetzt auch Marina Enterprises will. Er will ein ernsthafter Konkurrent werden.“
„Und das stört Sie?“ Fragend hob sie eine Augenbraue.
Er schüttelte den Kopf. „Warten wirs ab. Ich bin gespannt, wie weit er es auf einem Gebiet bringt, auf dem er sich nicht auskennt.“
Marina runzelte die Stirn. „Da ist noch etwas, oder?“
Wie er vermutet hatte: Sie war eine kluge Frau.
Doch noch zögerte er. Konnte er ihr die ganze Wahrheit sagen? Schließlich war sie eine Fremde. Würde sie es für sich behalten und nicht versuchen, ihren Vorteil daraus zu schlagen?
Ronan betrachtete Marina skeptisch von der Seite. War sie wirklich so unschuldig, wie sie tat? Waren seine Quellen zuverlässig? Er fragte sich, ob Marina wirklich die war, für die er sie hielt: ehrlich, sensibel, hart arbeitend – und unglücklich.
Seine innere Stimme wollte ihr vertrauen. Aber wenn er falsch lag … Nein, dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Es ging um Cleos Leben. Nicht um eine alte Geschichte aus Schultagen. Cleo hatte so hart darum gekämpft, sich das wiederzuholen, was ihr gehörte. Er musste vorsichtig sein. Wenn die Wahrheit herauskam, würde es sie zerstören.
Er sprang auf und ging zum Fenster. Dann drehte er sich wieder zu Marina um. Er spürte die Spannung in seinen Schultern und richtete sich noch ein wenig mehr auf als sonst.
„Wakefield hat jemandem geschadet, der mir nahesteht. Sehr geschadet.“ Er machte eine Pause. „Ich will nicht, dass derjenige noch
Weitere Kostenlose Bücher