Es geschah in einer Sommernacht
hatte. Alles in ihr schrie nach ihm, schrie nach mehr.
Oh, wie dumm konnte man sein? Sie begehrte einen Mann, der sie nur als Spielball für seine persönliche Rache missbrauchte. Sie musste es sich immer wieder sagen: Diese Welt der Reichen und Schönen war nicht ihre, sie würde es nie sein. Sie musste daran denken, worum es hier wirklich ging.
Marina schlug die Augen auf und betrachtete Ronan von der Seite. Auch mit zusammengepressten Lippen und angespanntem Gesichtsausdruck war er der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.
„Sagen Sie mir, wenn Sie müde sind“, sagte er plötzlich. „Wir bleiben nur kurz auf der Party, nur um uns zu zeigen.“
„Kein Problem“, murmelte sie. Es war eine Lüge. Zwar war sie körperlich schon viel fitter als damals auf der Party bei Wakefield. Die letzten Tage hatte sie die Genesung förmlich spüren können.
Aber würde sie dieses Schauspiel auch seelisch durchhalten? Obwohl sie die neuen Kleider verändert hatten, konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendjemand ihr abnahm, dass ausgerechnet Ronan Carlisle ihr verfallen war. Er konnte doch jede noch so umwerfende Frau haben …
Und wie sollte sie sich benehmen – inmitten von Sydneys High Society? Sie war ein nüchterner Typ, ohne großen Charme und Eleganz. Sie war es einfach nicht gewöhnt, sich unter solchen Leuten zu bewegen.
Marina wandte den Blick von Ronan ab und schaute aus dem Fenster. Für einen kurzen Moment sah sie der grausamen Wahrheit ins Gesicht. Diese Geschichte war einfach eine Nummer zu groß für sie. Man würde ihr auf die Schliche kommen und feststellen, dass rein gar nichts zwischen ihr und Ronan Carlisle war.
Am schlimmsten aber war ihre geheimste Angst: dass Ronan irgendwann merken würde, was sie für ihn empfand. Dass er merkte, wie sehr er sie durcheinanderbrachte und ihre Gedanken und Gefühle beherrschte.
Dass er spürte, dass ganz tief in ihrem Innern ein Teil von ihr hoffte, dass es wahr würde. Dass er und sie tatsächlich ein Paar wurden.
Eine Stunde später konnte Marina kaum glauben, wie leicht es ihr fiel, ihre Rolle zu spielen. Niemand hatte eine Bemerkung fallen lassen oder ihr einen komischen Blick zugeworfen, weil sie mit dem wohlhabendsten und attraktivsten Mann der ganzen Party zusammen war. Vielleicht waren die Leute auch einfach nur zu höflich, um ihr zu zeigen, was sie wirklich dachten.
Jedenfalls musste Marina nichts weiter tun, als in seiner Nähe zu bleiben und so zu tun, als hätte sie nur Augen für ihn.
Und dafür musste sie nicht einmal schauspielern!
Jedes Mal, wenn Ronan sie zufällig am Arm oder an der Schulter berührte, durchfuhr sie ein Schauer. Es war fast beängstigend, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte – selbst jetzt, während er mit einem anderen Gast Börsenwerte diskutierte.
Der Mann kam ihr seltsam bekannt vor. Sie hatte ihn schon auf Wakefields Party gesehen, als er Ronan im Vorübergehen angesprochen hatte. Aber erst jetzt erkannte sie ihn: Es war der Finanzminister persönlich!
In diesem Moment drehte sich Ronan zu ihr um und sah sie an. Errötend senkte sie den Blick und nippte an ihrem Champagner.
Schließlich hatten die Männer ihre Unterhaltung beendet. Der Minister gab Marina freundlich die Hand, dann ging er davon. Lächelnd sah sie ihm nach. Doch das Lächeln erstarrte, als sie am anderen Ende des Raums ein Gesicht entdeckte, das sie nur zu gut kannte. Ein Augenpaar war nur auf sie gerichtet. Marina schluckte. Ihr gefror augenblicklich das Blut in den Adern.
Charles Wakefield.
Die Selbstsicherheit, zu der sie sich gezwungen hatte, war verschwunden. Was würde jetzt geschehen? Wie würde Wakefield reagieren? Würde er sie vor allen Leuten lächerlich machen? Oder sie einfach nicht beachten?
„Marina, schauen Sie mich an.“ Seine Stimme klang leise und bestimmt.
Sie wandte sich um. „Haben Sie ihn gesehen? Wakefield…“
„Ich weiß.“ Ronan stellte sich so dicht vor sie, dass sie nur noch ihn und sonst niemanden mehr sah. Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte direkt in seine faszinierenden Augen. „Es gibt keinen Grund, nervös zu werden“, sagte er. „Wakefield wird keine Szene machen. Nicht, solange ich hier bin.“
Marina wünschte, sie könnte sich das Selbstbewusstsein, das dieser starke Mann ausstrahlte, wie einen Mantel überziehen. Die Angst kroch in ihr hoch. Noch vor ein paar Tagen hatte sie Wakefield unbedingt treffen wollen. Und jetzt verursachte ihr schon der bloße Gedanke
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