Es gibt kein nächstes Mal
eingerichtet. Über dem robusten Tisch aus
Massivholz hingen schimmernde Kupfertöpfe. Ein kleiner Junge bemalte mit
Buntstiften ein großes Blatt Papier. Er blickte von seinem Bild auf und winkte
ihr zu.
Gemma ging an dem Haus vorbei und überquerte die
Straße. Sie sah sich noch einmal um und fragte sich, in welchem Zimmer ihre
Mutter wohl gesessen hatte, als sie an Shirley geschrieben hatte. Sie sagte
sich, es müsse ein Zimmer im erhöhten Erdgeschoß oder im ersten Stockwerk
gewesen sein, da sie die hohen Decken mit den Stuckverzierungen an den Rändern
beschrieb. Gemma kniff die Augen zusammen und versuchte, sich das Haus
vorzustellen, als es heruntergekommen war, mit abbröckelndem Verputz um die
Fenster herum und mit schwarzer Farbe, die von der Haustür abblätterte.
Eine Frau schaute aus einem Fenster im ersten
Stock und sah, daß sie das Haus betrachtete. Mit einer schnellen Handbewegung
griff sie neben das Fenster und ließ eine Jalousie aus dunkelgrünem Bambus
herunterfallen.
Gemma wandte sich ab und entfernte sich
schleunigst. In der einen Hand trug sie eine Tüte mit den Briefen ihrer Mutter,
in der anderen Hand eine Tüte mit den Fotokopien. Sie lud die Tragetaschen in
ihrem Haus ab, schloß die Tür sorgfältig zweimal ab und ging wieder aus dem
Haus, um auf dem Markt einzukaufen.
Sie würde für Ralph ein Abendessen kochen. Sie
kaufte eine Lammkeule von einem Frühjahrslamm, eine Knolle Knoblauch von der
frischen Ernte und Kartoffeln, die so aussahen, als seien sie erst an jenem
Morgen ausgegraben worden, denn die Erde wirkte noch frisch und rot. Es war das
erste Mal, daß sie für ihn kochte, und sie wollte eine einfache und doch gute
Mahlzeit zubereiten, etwas, was dem köstlichen Essen entsprach, das er ihr
bisher vorgesetzt hatte.
Als er kam, legte sie gerade einen Zweig
Rosmarin unter das Fleisch.
»Es riecht wunderbar«, sagte er und stellte eine
der Weinflaschen, die er in Frankreich gekauft hatte, auf den Tisch, ehe er ihr
einen Strauß Veilchen überreichte. Gemma stellte sie in einem bemalten Krug,
von dem kleine Stücke abgebrochen waren, mitten auf den Tisch.
»Wie hast du deinen Tag verbracht, Liebling?«
fragte er sie und massierte ihre Schultern, während sie sich über das
Spülbecken beugte und die Erde von den Kartoffeln schrubbte.
»Hm. Gut. Und du?« Sie spürte, wie ihr Nacken
und ihre Schultern sich entspannten, obwohl ihr die Anspannung gar nicht bewußt
gewesen war.
»Nicht allzu produktiv. Meine Phantasie ist
vollauf mit dir beschäftigt. Da bleibt nicht viel Raum für das Schreiben...«
Gemma drehte sich zu ihm um und küßte ihn. »Wenn
das nicht schmalzig klingt«, sagte sie.
»Genau. Ich klinge fast schon so wie die
Dichter, die Verse für Karten zum Muttertag verfassen.«
»Vielleicht sollte ich bei dir ein Buch für
meine neue Serie in Auftrag geben?«
»Ich dachte schon, du kämest nie auf den
Gedanken! Ich verzehre mich danach, etwas Erotisches zu verfassen. Natürlich
würde ich ein Pseudonym verwenden«, scherzte er. »Hast du dir schon einen Titel
dafür ausgedacht?«
»Ja. Die Inspiration stammt im Grunde genommen
sogar von dir...«Er sah sie ein wenig skeptisch an. »Diese Blumen, die du mir
an meinem ersten Arbeitstag geschickt hast, haben mich darauf gebracht. Ich
dachte, ich nenne das Werk >Tigerlilie<. Das klingt doch sexy, findest du
nicht auch, aber trotzdem nicht zotig, und es verträgt sich mit dem Blumennamen
des Verlagshauses.«
»Einfach genial!« sagte er.
»Ich spiele mit dem Gedanken, eine von Daisys
Ideen aufzugreifen. Sie hat vorgeschlagen, in einer der Zeitschriften, für die
sie schreibt, einen Wettbewerb zu veranstalten, um neue Autorinnen zu finden
und gleichzeitig Reklame für das neue Programm zu machen...«
»Klingt gut... hast du sie übrigens inzwischen
erreicht?«
Gemma gefiel es, wie genau Ralph zuhörte und
sich an Dinge erinnerte, die ihr wichtig waren. Damit überraschte er sie immer
wieder. Ihr war bisher noch nie ein Mann begegnet, der sich so sensibel auf sie
eingestellt hatte.
Es hatte Zeiten gegeben, vor allem dann, wenn er
gerade selbst keinen Geliebten gehabt hatte, in denen Boy ein geradezu
besessenes Interesse an Gemmas Privatleben gezeigt hatte, doch das hatte mehr
mit einem lasziven Kitzel zu tun gehabt als mit echtem Interesse an ihr.
»Nein, ich habe sie immer noch nicht erreicht«,
erwiderte Gemma.
Sie hätte ihm erzählt, daß sie mit Oliver
gesprochen hatte, ganz bestimmt sogar, wenn Ralph nicht
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