Es gibt kein nächstes Mal
sofort all ihre Bücher über
Biskuit und Donut rausgesucht. Sie hat sie schon immer geliebt...«
Gemma seufzte. »Tja, da das Abendessen so
köstlich riecht Und ich einen richtigen Heißhunger mitgebracht habe, werde ich
es wohl tun. Aber nur eine Geschichte. Was meinst du, wie ich das am
besten aushandele?«
»Ich dachte, du seist gut darin, Geschäftsabschlüsse
auszuhandeln«, sagte Kathy. Sie verschloß den Topf wieder mit dem Deckel und
schob ihn in den Ofen zurück.
Die vorderen Flügel des Puppenhauses waren
aufgeklappt, und Zoe kauerte dahinter.
»Hallo, du da«, begrüßte Gemma sie und schaute
über das Hausdach hinweg.
»Als du das letzte Mal hier warst, hast du
gesagt, du wolltest gern damit spielen.«
»Richtig. Das hast du dir gut gemerkt. Aber ich
dachte, du solltest längst im Bett sein, Fräulein?«
»Ich habe mich schon fertiggemacht.« Zoe stand auf.
Sie trug einen meergrünen Schlafanzug mit Fischen darauf.
»Hast du dir auch schon die Zähne geputzt?«
»Ja, natürlich. Was ist aus deinem Puppenhaus
geworden?« fragte Zoe, während sie ins Bett sprang.
Gemma kniete auf dem Fußboden. Sie fing an, die
Puppen der Reihe nach in die Hand zu nehmen, ihre Kleidung glattzustreichen und
jeder einen Gutenachtkuß zu geben, ehe sie sie in den Zimmern des oberen
Stockwerks in ihre Betten legte.
Es war ein hübsches Puppenhaus mit einem Giebel,
und in seinen Stilelementen war es der altenglischen Architektur nachempfunden.
Die Einrichtung dagegen war nicht übermäßig geschmackvoll, eine Mischung aus
teuren Miniaturen von Stilmöbeln und modernen Stücken aus grellem Plastik, und
daher erinnerte es gewissermaßen an Kathys Küche. Einige Puppen waren zu groß,
und ihre Größe stand in keinem Verhältnis zu dem Haus. Gemma hätte sie niemals
in ihrem Puppenhaus geduldet.
»Laß mich kurz nachdenken«, sagte Gemma. »Ich
glaube, es wurde an ein anderes kleines Mädchen weiterverschenkt...«
In Wahrheit konnte sie sich ganz genau an diese
Begebenheit erinnern.
Eines Nachmittags war sie von der Schule nach
Hause gekommen und hatte in ihrem Schlafzimmer eine leere Ecke vorgefunden.
Estella hatte den einsamen Entschluß gefaßt, das Puppenhaus samt seinem
kompletten Inhalt einer ihrer Künstlerfreundinnen zu überlassen, die in London
eine Versteigerung zu wohltätigen Zwecken organisierte. Alles war verschwunden,
sogar der Geschirrschrank mit den Tellern, die Gemma selbst aus Kronkorken
fabriziert hatte. Sie hatte ganze Tage damit zugebracht, sie mit einem Hammer
flachzuklopfen, und dabei hatte sie sich mehrfach auf die Finger geschlagen.
Dann hatte sie die Teller mit weißer Farbe und winzigen blauen Blümchen
emailliert.
»Aber du bist doch schon viel zu alt dafür, und
selbst Daisy ist aus diesem Alter herausgewachsen«, hatte Estella gesagt, als
Gemma jammernd ihre Proteste vorgebracht hatte. »Und willst du denn nicht den
hungernden Kindern in Afrika helfen?«
»Darum geht es nicht«, hatte Gemma lauthals
geschrien. Sie konnte sich noch gut daran erinnern. »Es hat mir gehört. Wenn
ich es hätte weggeben wollen, dann hätte ich es entscheiden müssen.« Sie
verabscheute es, wie Estella wieder einmal probierte, den Spieß umzudrehen und
es so hinzustellen, als stünde hier Gemmas Eigennützigkeit zur Diskussion.
»Wie ist es mir bloß gelungen, derart
materialistische Kinder hervorzubringen?« hatte Estella gesagt, während sie aus
dem Zimmer geschwebt war und Schwaden Shalimar-Duft zurückgelassen hatte.
Gemma klappte die vorderen Flügel des Hauses
zusammen. »Ich wünsche euch allen eine gute Nacht«, sagte sie zärtlich zu den
Puppen.
Zoe kicherte.
»Wo hast du die Geschichte, die ich dir vorlesen
soll?« fragte Gemma.
»Hier. Ich kann mich nicht entscheiden, welche«,
erwiderte Zoe. Sie hielt mehrere abgegriffene Ausgaben der Biskuit-und-Donut -Bücher
wie einen Fächer in den Händen.
»Du mußt dir aber eine aussuchen, weil ich dir
andernfalls nämlich keine vorlese«, sagte Gemma, die allmählich begriff, wie
Zoes Verstand arbeitete.
»Also gut. Biskuit und Donut im Schnee .« Zoe reichte ihr den schmalen Band.
Welch eine Ironie, dachte Gemma, daß sie
ausgerechnet diese Geschichte ausgewählt hatte. Sie begann, die vertrauten
Worte zu lesen.
Das Bild auf der ersten Seite zeigte die beiden
Puppen, eine davon eine große, weiche Stoffpuppe mit blaßgoldenem Haar (»von
der Farbe eines herzhaften Biskuits, mit viel Butter gebacken«, hatte Estella
geäußert, als
Weitere Kostenlose Bücher