Es ist nicht alles Gold was glänzt
Mann, der stolz darauf war, daß er in einer Stunde hundert Partien austeilen konnte, ließ die Karten aus dem Schlitten gleiten. Einen König für Jean-Pierre, eine Vier für Harvey, eine Fünf für den Jüngling links von Harvey und eine Sechs für den Bankhalter. Jean-Pierres zweite Karte war eine Sieben. Er blieb stehen. Harvey zog eine Zehn und blieb ebenfalls stehen. Der Jüngling links von Harvey zog auch eine Zehn und bat den Bankhalter um eine weitere, aufgedeckte Karte. Es war eine Acht – tot.
Harvey verachtete Amateure auf jedem Gebiet, und jeder Dummkopf weiß, daß man mit zwölf oder mehr Augen in der Hand nicht eine weitere offene Karte verlangt, wenn die aufgedeckte Karte des Bankhalters eine Drei, Vier, Fünf oder Sechs ist. Er verzog geringschätzig sein Gesicht. Der Bankhalter gab sich selbst eine Zehn und eine Sechs. Harvey und Jean-Pierre hatten gewonnen. Für das Glück der übrigen Spieler interessierte Jean-Pierre sich nicht.
Die nächste Runde war nicht zu gewinnen. Jean-Pierre blieb bei Achtzehn stehen – zwei Neunen, die er nicht splitten und mit zwei Händen weiterspielen wollte, da der Bankhalter ein As hatte. Harvey stand ebenfalls mit Achtzehn, einer Acht und einem Buben, und der junge Mann zu seiner Linken machte wieder Pleite. Die Bank zog eine Dame – hatte damit ›Black Jack‹ – und kassierte.
Bei der nächsten Runde erhielt Jean-Pierre eine Drei, Harvey eine Sieben und der junge Mann eine Zehn. Der Bankhalter zog eine Sieben. Jean-Pierre hatte als nächstes eine Acht, verdoppelte seinen Einsatz auf 6 Francs und zog dann eine Zehn – vingt-et-un (einundzwanzig). Jean-Pierre verzog keine Miene. Er wußte, daß er gut spielte, daß er sich seine Befriedigung darüber aber nicht anmerken lassen durfte – Harvey sollte es als selbstverständlich hinnehmen. In Wirklichkeit hatte Harvey ihn gar nicht beachtet: seine Aufmerksamkeit war voll und ganz auf den Jüngling zu seiner Linken konzentriert, der geradezu darauf versessen zu sein schien, dem Casino bei jeder Runde etwas zu schenken. Der Bankhalter teilte weiter aus: Harvey eine Zehn und dem jungen Mann eine Acht, ließ also den beiden keine andere Wahl, als zu stehen. Der Bankhalter selbst zog eine Zehn und hatte damit siebzehn. Er zahlte Jean-Pierre aus, beließ Harveys Einsatz und zahlte den jungen Mann ebenfalls aus.
Im Schlitten waren keine Karten mehr. Ostentativ und mit viel Aufhebens mischte der Bankhalter die vier Kartenspiele und bat Harvey, abzuheben, bevor er sie in den Schlitten steckte. Dann schossen sie wieder heraus: eine Zehn für Jean-Pierre, eine Fünf für Harvey, eine Sechs für den jungen Mann und eine Vier für den Bankhalter. Jean-Pierre zog eine Acht. Das Spiel lief gut. Harvey zog eine Zehn und blieb bei fünfzehn stehen. Der junge Mann zog eine Zehn und verlangte noch eine Karte. Harvey traute seinen Augen nicht – leise pfiff er durch die Lücke seiner Vorderzähne. Und richtig, die nächste Karte war ein König: wieder tot. Der Bankhalter gab sich einen Buben und dann eine Acht und brachte es damit auf zweiundzwanzig, aber der junge Mann lernte nichts aus dieser Lektion. Harvey starrte ihn fassungslos an. Wann würde der endlich kapieren, daß von den zweiundfünfzig Karten in einem Kartenspiel immerhin sechzehn einen Wert von zehn Augen hatten?
Daß Harvey so abgelenkt war, gab Jean-Pierre die Chance, auf die er gewartet hatte. Er fuhr mit der Hand in die Tasche und nahm die Prostigmin-Tablette, die Adrian ihm gegeben hatte, in seinen linken Handteller. Dann nieste er und zog mit einer geübtgekonnten Bewegung seiner rechten Hand das Taschentuch aus seiner Brusttasche. Gleichzeitig ließ er rasch und unauffällig die Tablette in Harveys Kaffee gleiten. Es würde eine Stunde dauern, so hatte Adrian ihm versichert, bis die Wirkung einsetzte. Am Anfang würde Harvey sich lediglich etwas unwohl fühlen, dann würde sich sein Zustand rasch verschlimmern, bis die Schmerzen unerträglich werden würden und er schließlich in völliger Angst zusammenbrechen würde.
Zur Bar gewandt, machte Jean-Pierre seine rechte Faust dreimal auf und zu und steckte sie dann in die Tasche. Stephen stand unverzüglich auf und ging hinaus, um von der Treppe des Casinos aus Adrian und James die Nachricht von der glücklichen Landung der Prostigmin-Tablette in Harveys Kaffee durchzugeben. Nun war es an Adrian, sich unter Druck zu bewähren. Er rief das Krankenhaus an und bat die diensthabende Schwester, den
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