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Es ist nicht alles Gold was glänzt

Titel: Es ist nicht alles Gold was glänzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
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Mann zu empfinden; desungeachtet war er heute mehr denn je davon überzeugt, daß Harvey außerhalb seiner gewohnten Umgebung überlistet werden könnte. Über zwei Stunden lag Stephen so, in tiefem Nachdenken versunken, ohne sich zu rühren im Bett. Als die Sonne hinter dem höchsten Baum aufgegangen war, stand er auf, duschte und rasierte sich und zog sich langsam und bedächtig an, während seine Gedanken auf den vor ihm liegenden Tag konzentriert waren.
    Er schminkte sich sorgfältig und machte sich um fünfzehn Jahre älter. Das nahm viel Zeit in Anspruch, und er überlegte, ob Frauen sich vor dem Spiegel wohl ebenso lang abmühen müßten, um das genau entgegengesetzte Ergebnis zu erzielen. Dann legte er seinen Talar von prächtigem Scharlachrot an, der ihn als Doktor der Philosophie der Universität Oxford auswies. Es amüsierte ihn, daß in Oxford alles vom üblichen abweichen mußte. Jede andere Universität englischer Sprache kürzte diese allenthalben gebräuchliche Bestätigung erfolgreicher Forschungsarbeit in Ph.D. ab – in Oxford war es D. Phil. Er betrachtete sich eingehend im Spiegel.
    Wenn das keinen Eindruck auf Harvey Metcalfe macht, dachte er, wird nichts ihn jemals beeindrucken … Überdies hatte er sogar das Recht, diese Robe zu tragen. Dann setzte er sich, um das Dossier zum letzten Mal durchzulesen – er hatte es so oft studiert, daß er es praktisch auswendig konnte.
    Das Frühstück ließ er ausfallen. Sein Anblick – er wirkte fast wie fünfzig – hätte zweifellos bei seinen Kollegen ein gewisses Aufsehen erregt, obgleich die älteren Professoren wahrscheinlich kaum etwas Ungewöhnliches an seiner äußeren Erscheinung bemerkt haben würden.
    Stephen verließ zielstrebig das College und gelangte unbemerkt in die High Street, wo er sich unter die rund tausend anderen Doktoren und Magister mengte, die alle wie Erzbischöfe aus dem 14. Jahrhundert gekleidet waren. An diesem Tag fiel es nicht schwer, die Anonymität zu wahren. Dies und die Tatsache, daß Harvey durch die ihm fremden Traditionen der alten Universität verwirrt sein würde, waren die beiden Gründe, warum Stephen die Encaenia-Feiern als seine Operationsbasis gewählt hatte.
    Um 9.55 Uhr kam er ins Randolph und sagte einem der jüngeren Hotelpagen, er sei Professor Porter und warte auf Mr. Metcalfe. Der Junge verschwand und kehrte ein paar Augenblicke später mit Harvey zurück.
    »Mr. Metcalfe – Professor Porter.«
    »Danke«, sagte Stephen und nahm sich vor, später noch einmal vorbeizukommen, um dem Jungen ein Trinkgeld zu geben. Das Vorstellen gehörte zwar zu seinen Pflichten, war Stephen aber sehr gelegen gekommen.
    »Guten Morgen, Professor. Wo fangen wir an?«
    »Nun«, sagte Stephen, »Encaenia beginnt mit Lord Nathaniel Crewes Stiftung im Jesus College – sie besteht in Champagner, Erdbeeren und Sahne für alle Würdenträger der Universität, die sich hinterher in einer Prozession zum Sheldonian Theatre begeben.«
    »Und was passiert dann?«
    »Den Höhepunkt bildet die Vorstellung der Kandidaten auf einen Honoris-causa-Titel.«
    »Die Vorstellung der Kandidaten auf was?«
    »Auf einen Titel ehrenhalber«, antwortete Stephen. »Das sind Männer und Frauen, die sich besonders ausgezeichnet haben und die von den älteren und ranghöchsten Mitgliedern der Universität für einen Ehrentitel vorgeschlagen wurden.«
    »Wer ist dieser Dings – dieser Lord Crewe?«
    »Ja, also das ist höchst interessant. Lord Nathaniel Crewe war ein Doktor der Universität und Bischof von Durham. Er starb im 17. Jahrhundert und vermachte der Universität 200 Pfund pro Jahr als Stiftung zur Finanzierung der Veranstaltung, von der ich Ihnen gerade erzählt habe, und einer Gedenkrede, die wir später hören werden. Natürlich reicht das Geld, das er hinterlassen hat, heutzutage bei den steigenden Preisen und der Inflation zur Kostendeckung nicht mehr aus, und so muß die Universitätskasse etwas zuschießen.« Stephen erhob sich und verließ mit seinem Gast das Hotel. »Wir müssen jetzt gehen und uns einen guten Platz an der Straße sichern, von dem aus wir der Prozession zuschauen können.«
    Sie wanderten die Broad Street hinunter und entdeckten eine sehr günstige Stelle genau gegenüber dem Sheldonian Theatre; angesichts seiner scharlachroten Robe schaffte die Polizei etwas Raum für Stephen. Ein paar Minuten später war die Prozession in Sicht, als sie sich, von der Turl Street kommend, um die Einmündung in die Broad

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