Es ist nicht alles Gold...
Schlag auf, und es bildete sich
eine Schlange. Ich ging hinüber und stellte mich ganz hinten an.
»Organisationsverhalten«, sagte die Frau vor mir gerade zu dem Mann an ihrer
Seite, »ist der schlimmste Kurs im ganzen Vorlesungsverzeichnis. Aber ich muß
ihn nehmen, sonst werde ich nicht zum Examen zugelassen.«
»Und ich nehme ihn«, erwiderte der
Mann, »damit ich wenigstens einmal in der Woche abends von zu Hause wegkomme.«
Daher die vielen Leute. Die Golden Gate
University, wo man vor allem Kurse in Betriebswirtschaft und Recht belegen
konnte, hielt viele ihrer Abendseminare in Räumen ab, die von örtlichen Firmen
zur Verfügung gestellt wurden. Offenbar war auch in dem Haus, in dem van Osten
sein Büro hatte, so ein wohlwollendes Unternehmen. Die Liste, die der Wächter
in der Hand hielt, war vermutlich das Verzeichnis der Kursteilnehmer. Ich
konnte nur hoffen, daß an diesem Abend jemand schwänzte.
Während ich näher rückte, beobachtete
ich den Wächter, wie er die Leute vor mir abfertigte. Er verlangte keinen
Ausweis, aber ich sah genau, daß er ihre Gesichter nicht kannte, denn er gönnte
ihnen kaum einen Blick. Hinter ihm auf dem Tisch stand ein kleiner
Fernsehapparat. Das Bild lief, doch der Ton war ausgeschaltet. Der Wächter
hatte es wahrscheinlich eilig, wieder zu seiner Sendung zu kommen.
Als ich an die Reihe kam, überflog ich
hastig die gedruckte Liste und deutete dann auf einen Namen, der nicht abgehakt
war. Er war kurz und leicht verkehrt herum zu lesen.
»Da«, sagte ich. »Milne.«
Mit einem Brummen setzte der Wächter
sein Häkchen hinter den Namen. Ich folgte den anderen zum Aufzug, und wir
fuhren in die elfte Etage hinauf. Dort murmelte ich etwas von der Toilette und
ging in der entgegengesetzten Richtung wie die anderen davon.
Die Frau, die den Kurs für die
Zulassung zum Examen brauchte, rief mir nach: »Da müssen Sie eine Treppe tiefer
gehen. Es gibt nur in jedem zweiten Stockwerk eine.«
»Danke.« Ich ging ins Treppenhaus
hinaus, wo ich ja sowieso hin wollte.
Auf van Ostens Karte stand, daß sein
Büro auf Nummer 602 war. Ich trabte zum sechsten Stock hinunter. Alles war
still, kein Licht schimmerte durch die Milchglastüren. Ich ging weiter bis zu
Nummer 602. Ich konnte das Glas einschlagen, um hineinzugelangen, aber ich
hoffte, daß ich das nicht würde tun müssen. Aus meiner Tasche nahm ich einen
Bund Nachschlüssel, die ich im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte. Der
achte Versuch war erfolgreich.
Ich trat in das dunkle Büro, schloß die
Tür hinter mir und lauschte einen Moment in die Stille. Dann nahm ich meine
kleine Taschenlampe heraus und sah mir das Zimmer an. Ein typisches Vorzimmer
mit typischem Büromobiliar. Die Wände hatten einen langweiligen Beigeton,
Schreibtisch und Stühle waren aus dem hellen Holz, das ich noch aus meiner
Schulzeit in Erinnerung hatte. Der Raum war schmucklos, bis auf eine Vase mit
roten Nelken auf dem Schreibtisch. Van Osten sah vermutlich keinen Grund, viel
Geld in sein Büro zu stecken, nachdem er sowieso die meiste Zeit unterwegs war.
Ich ging am Schreibtisch vorbei durch eine Verbindungstür. Auch nebenan war
alles still.
Drei weitere Türen gingen von dem
kleinen Vorzimmer ab, in dem ich stand. Hinter der ersten befand sich ein
Wandschrank. Die zweite führte in eine Art Ausstellungsraum mit Mustern von van
Ostens Artikeln. In einem Bücherregal standen reihenweise Kataloge.
Ich richtete meine Lampe auf sie. Die
mit englischen, französischen und deutschen Namen interessierten mich nicht.
Aber in der zweiten Reihe stieß ich auf ein Buch mit der Aufschrift Giannini
& Barducci. Ich nahm es mit zu einem Tisch, blätterte es durch, sah
mir die Illustrationen an. Giannini & Barducci stellten Gemälde in
Mengen her.
Ich blätterte schneller, bis ich zur
Illustration einer samtäugigen Madonna mit Kind kam. Meinem ungeschulten Auge
zeigte sich kaum ein Unterschied zu dem Bellini im Kofferraum meines Wagens.
Die dazugehörige Beschreibung lautete: »Ein Sortiment von fünfzig ausgewählten
Gemälden im Florentiner Stil mit religiösen Motiven. Bestellnummer BX 1731.«
Die Nummer fiel mir auf. Ich suchte aus
meiner Handtasche das Notizbuch, in dem ich mir am Morgen die Angaben aus Joans
Büchern notiert hatte. BX 1731 war die Sendung, die am vergangenen Montag hätte
ankommen müssen; vielleicht war sie tatsächlich eingetroffen. Wenn ja, wo waren
die anderen neunundvierzig Gemälde?
Ich suchte nach der Nummer CD 1910,
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