Es ist niemals vorbei
ein Gedanke war in meinem Gehirn, und der lautete, dass es ohne Leiche keinen endgültigen Beweis für einen Tod gab.
«Wusstest du, dass Pawtusky mich gestern angerufen hat?», fragte ich Billy und schaute ihn an, um jede einzelne Gefühlsregung mitzubekommen. Man behandelte mich nämlich, als wäre ich aus hauchdünnem Glas. Alle anderen gaben sich stark, schließlich mussten sie die Scherben auffangen, wenn ich irgendwann zerbrach. Sie mussten sich in Geduld üben und meine Beharrlichkeit ertragen, wenn ich ein ums andere Mal versicherte, Mac sei nicht tot. Sie mussten Behutsamkeit lernen, um mich irgendwann ganz sanft vom Gegenteil zu überzeugen.
Billy seufzte. «Nein, das wusste ich nicht.»
«Hast
du
in letzter Zeit mit ihm gesprochen?»
«Gelegentlich.»
«Pawtusky hat mich gefragt – er hatte tatsächlich den Nerv, mich zu fragen, ob Mac mir jemals untreu war. In Bronxville kursierten Gerüchte, nach denen Mac Val früher angeblich hintergangen hatte. Dass er sie mit mir betrogen hat und ebenso gut auch mich hätte betrügen können. ‹Die Katze lässt das Mausen nicht›, genau so hat Pawtusky sich ausgedrückt. Ich habe ihm erklärt, dass Mac nicht so war und wir erst nach seiner Trennung von Val zusammengekommen sind. Aber wenn ihr mich fragt, hat er mir nicht geglaubt.»
«Ich werde mit ihm reden», sagte Billy.
«Wahrscheinlich denkt er, wenn er Mac des Ehebruchs bezichtigen kann, dann wird mir klar, dass ich meinen Mann doch nicht so gut kannte. Als Nächstes wird er behaupten, dass die MacLearys nur aus Lügnern, Betrügern und Mördern bestehen, und schon ist auch Dannys Schuld bewiesen. So etwas nenne ich Rufmord.»
«Zumindest scheint er sich nicht gerade geschickt zu benehmen», stimmte meine Mutter mir zu.
«Ich werde mit ihm reden», wiederholte Billy.
So hätte ich den ganzen Tag weitermachen können, mich pausenlos über jedermann beschweren und mich über falsche Anschuldigungen aufregen können, angefangen von Macs angeblicher Untreue, über den Unsinn, dass er seine Familie verlassen habe, bis hin zu seinem mutmaßlichen Selbstmord. Aber ich wurde von Ben unterbrochen, der aus seinem Mittagsschlaf aufgewacht war und sich lautstark meldete. Meine Mutter lief nach unten und kehrte mit meinem verschlafenen Sohn zurück. Er hatte die Augen und das Lächeln seines Vaters. Ich nahm ihn auf den Schoß und sog seinen tröstlichen Duft ein.
«
Mac ist nicht
–», verkündete ich zum x-ten Mal und ersetzte das unausgesprochene «tot» durch ein Kopfschütteln, denn dieses Wort sollte Ben nicht hören.
Wieder wechselten meine Mutter und Billy einen ihrer bedeutsamen Blicke. Billy stand auf.
«Ich muss mich auf die Socken machen.»
«Wirst du denn weiter nach ihm suchen?», fragte ich. «Bitte.»
«Das ist doch wohl klar.»
Billy tätschelte meine Schulter. Meine Mutter begleitete ihn hinaus. An der Haustür hörte ich sie mit gedämpften Stimmen reden. Zwar konnte ich ihre Worte nicht verstehen, aber ich ahnte, was sie sagten.
Sie ist aus dem Gleichgewicht. Aber das geht auch wieder vorüber. Wir müssen ihr Zeit lassen.
***
Am nächsten Morgen klingelte ein Bote an der Tür und überreichte mir einen großen Karton mit Macs persönlicher Habe aus seinem Büro. Bei Quest Security hatte man offenbar entschieden, dass Mac tot war, und sein Büro für den Nachfolger geräumt. Nur eine Woche lang hatte Mac seinen neuen Posten innegehabt, ehe seine Eltern umkamen und er wenig später selbst verschwand. Wenn ich nur daran dachte, hatte ich einen Kloß im Hals, den ich nicht hinunterschlucken konnte, ganz gleich wie oft ich mir vorsagte, dass Mac sich niemals umgebracht hätte.
Trotz allem versuchte ich mein Bestes zu tun und die erste Phase meiner zweiten Witwenschaft irgendwie durchzustehen. Es war ein wenig anders als nach dem Tod von Jackson und Cece, denn wenigstens war mir Ben geblieben. Ihm widmete ich all meine Zeit. Einen Schritt nach dem anderen machte ich und konzentrierte mich auf jeden einzelnen Tag, um mich nur ja nicht fragen zu müssen, was der nächste bringen würde. Fest stand nur, dass ich mein Studium beenden und eine neue Laufbahn einschlagen wollte. Ein Paar namens Mr und Mrs Forensik würde es nicht mehr geben, sondern nur eine Miss Forensik mit Sohn. Jedes Mal, wenn ich mich an Macs scherzhafte Anspielung erinnerte, begannen meine Augen zu brennen. Ich hätte mir bis vor kurzem niemals vorstellen können, alleinerziehende Mutter zu sein, aber wer erwartet,
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