Es muß nicht immer Kaviar sein
»Immigration Officer« heran.
Der Beamte, ein älterer Mensch mit nikotinverfärbtem Walroßschnurrbart, nahm den deutschen Reisepaß entgegen, den ihm Thomas mit einem freundlichen Lächeln reichte. Er blätterte darin, dann sah er auf. »Ich bedaure, Sie dürfen britischen Boden nicht mehr betreten.«
»Was soll das heißen?«
»Sie wurden heute ausgewiesen, Mr. Lieven. Bitte, folgen Sie mir, es warten zwei Herren auf Sie.« Und er ging schon voran …
Die beiden Herren erhoben sich, als Thomas in das kleine Büro kam. Sie sahen aus wie besorgte Beamte, magenkrank und unausgeschlafen.
»Morris«, sagte der eine.
»Lovejoy«, sagte der andere.
An wen erinnern mich die beiden bloß? überlegte Thomas. Er kam nicht darauf. Er war jetzt verärgert, schwer verärgert. Er nahm sich sehr zusammen, um auch nur halbwegs höflich zu bleiben: »Meine Herren, was soll das bedeuten? Ich lebe seit sieben Jahren in diesem Land. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.«
Der Mann mit Namen Lovejoy hob eine Zeitung hoch und wies auf eine dreispaltige Überschrift:
LONDONER BANKIER
IN KÖLN VERHAFTET !
»Na und? Das war vorgestern! Heute bin ich hier! Die Deutschen haben mich wieder freigelassen!«
»Und warum wohl?« fragte Morris. »Warum läßt die Gestapo wohl einen Mann frei, den sie eben erst verhaftet hat?«
»Meine Unschuld hat sich erwiesen.«
»Aha«, sagte Lovejoy.
»Aha«, sagte Morris. Die Herren sahen sich bedeutungsvoll an. Dann sagte Morris mit klassischer Überlegenheit: »Wir sind vom Secret Service, Mr. Lieven. Wir haben unsere Informationen aus Köln. Es ist völlig zwecklos, daß Sie uns belügen.«
Jetzt weiß ich, an wen ihr beide mich erinnert, dachte Thomas plötzlich. An den blassen Major Loos! Dasselbe Theater. Dieselben Allüren. Er sagte wütend: »Um so besser, wenn Sie vom Secret Service sind, meine Herren. Es wird Sie dann natürlich interessieren: Die Gestapo hat mich nur freigelassen, weil ich mich bereit erklärte, für die Deutsche Abwehr zu arbeiten.«
»Mr. Lieven, für wie naiv halten Sie uns eigentlich?«
Thomas wurde ungeduldig: »Ich sage die reine Wahrheit. Die Deutsche Abwehr hat mich erpreßt. Ich fühle mich an mein Versprechen nicht gebunden. Ich will hier in Frieden leben!«
»Sie glauben doch wohl selber nicht, daß wir Sie nach diesem Geständnis noch ins Land lassen! Sie sind offiziell ausgewiesen, weil jeder Ausländer aus unserem Lande abgeschoben wird, wenn er mit dem Gesetz in Konflikt kommt.«
»Aber ich bin doch völlig unschuldig! Mein Partner hat mich betrogen! Lassen Sie mich wenigstens zu ihm! Dann werden Sie sehen, daß ich die Wahrheit spreche!«
Morris und Lovejoy sahen sich bedeutungsvoll an.
»Warum sehen Sie sich so bedeutungsvoll an, meine Herren?«
Lovejoy sagte: »Sie können nicht mit Ihrem Partner sprechen, Mr. Lieven.«
»Und warum nicht?«
»Weil Ihr Partner für sechs Wochen London verlassen hat«, sagte Morris.
»Lo-Lo-London?« Thomas wurde blaß. »Verla-la-lassen?«
»Jawohl. Es heißt, er wäre nach Schottland gereist. Wohin genau, weiß niemand.«
»Verflucht noch einmal, aber was soll ich denn jetzt machen?«
»Kehren Sie zurück in Ihr Vaterland.«
»Damit man mich einsperrt? Ich wurde doch nur in Freiheit gesetzt, um in England zu spionieren!«
Die beiden Herren sahen sich wieder an. Thomas wußte, daß noch etwas kommen würde. Es kam prompt.
Morris sprach kühl und sachlich: »Soweit ich sehen kann, gibt es überhaupt nur noch einen Ausweg für Sie, Mr. Lieven: Arbeiten Sie für uns!«
Du lieber Himmel, dachte Thomas Lieven, wenn ich das im Club erzähle! Kein Mensch glaubt es mir.
»Spielen Sie mit uns gegen die Deutschen, und wir lassen Sie ins Land und helfen Ihnen gegen Marlock. Wir schützen Sie.«
»Wer schützt mich?«
»Der Secret Service.«
Thomas erlitt einen kleinen Lachkrampf. Dann wurde er ernst, zog an seiner Weste und an seiner Krawatte und richtete sich zu seiner ganzen Größe auf.
Der Augenblick der Verwirrung und Niedergeschlagenheit war vorübergegangen. Er wußte jetzt, daß er etwas für einen gewaltigen Jux gehalten hatte, das wahrscheinlich kein ganz so gewaltiger Jux war. Nun mußte er kämpfen. Er kämpfte gern. Ein Mann läßt sich nicht einfach sein Leben zerstören.
Thomas Lieven sagte: »Ich lehne Ihr Angebot ab, meine Herren, ich gehe nach Paris. Mit dem besten Anwalt Frankreichs werde ich einen Prozeß gegen meinen Partner führen – und gegen die britische
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