Es muß nicht immer Kaviar sein
blieb er schmerzverkrümmt liegen. Mein Jiu-Jitsu-Unterricht macht sich bezahlt, dachte Thomas.
»Und nun zu Ihnen«, sprach er, auf den zweiten Schlächter zutretend.
Die blonde Lucie begann zu kreischen. Der zweite Schlächter wich zurück und stotterte: »N-nicht d-doch, Herr. Machen Sie nicht solche Sachen …« Er holte einen Revolver aus seinem Schulterhalfter hervor. »Ich warne Sie. Seien Sie vernünftig.«
Thomas blieb stehen. Nur ein Idiot kämpft unbewaffnet gegen einen Schlächter mit Revolver.
»Im Namen des Gesetzes«, sagte der ängstliche Schlächter. »Sie sind verhaftet!«
»Verhaftet, von wem?«
»Von der Geheimen Staatspolizei.«
»Junge, Junge«, sagte Thomas Lieven, »wenn ich das im Club erzähle!«
Thomas Lieven liebte seinen Londoner Club, und sein Club liebte ihn. Whiskygläser in der Hand, Pfeifen im Mund, vor dem flackernden Kaminfeuer sitzend, so hörten die Clubmitglieder jeden Donnerstagabend die tollen Geschichten an, die reihum erzählt wurden. Wenn ich diesmal zurückkomme, dachte Thomas, bringe ich eine Geschichte mit, die ist auch nicht schlecht.
Nein, die Geschichte war nicht schlecht, und sie sollte immer besser werden. Allerdings – wann sollte Thomas sie in seinem Club erzählen dürfen, wann seinen Club auch nur wiedersehen? Er war durchaus noch frohen Mutes, als er an diesem Maitag 1939 in einem Büro des »Sonderdezernat D« im Gestapo-Hauptquartier zu Köln saß. Das Ganze ist ja nur ein Mißverständnis, dachte er; in einer halben Stunde bin ich hier raus …
Haffner hieß der Kommissar, der Thomas in Empfang nahm: ein dicker Mann mit schlauen Schweinsaugen. Ein sauberer Mann! Ohne Unterlaß reinigte er seine Fingernägel mit immer neuen Zahnstochern. »Ich höre, Sie haben einen Kameraden zusammengeschlagen«, sagte Haffner böse. »Das wird Ihnen noch verflucht leid tun, Lieven!«
»Immer noch
Herr
Lieven für Sie! Was wollen Sie von mir? Warum wurde ich verhaftet?«
»Devisenverbrechen«, sagte Haffner. »Habe lange genug auf Sie gewartet.«
»Auf mich?«
»Oder auf Ihren Partner Marlock. Seit diese Lucie Brenner aus London zurückkam, ließ ich sie überwachen. Dachte mir: Einmal taucht einer von euch frechen Hunden wieder auf. Na, und dann hopps!« Haffner schob einen Aktenordner über die Schreibtischplatte. »Am besten, ich zeige Ihnen, was gegen Sie an Material vorliegt. Dann werden Sie die vorlaute Schnauze halten.«
Nun bin ich aber wirklich neugierig, dachte Thomas. Er begann in dem umfangreichen Ordner zu blättern. Nach einer Weile mußte er lachen.
»Was finden Sie komisch?« fragte Haffner.
»Na, hören Sie mal, das ist doch ein tolles Ding!«
Aus den Dokumenten ging hervor, daß die Londoner Privatbank »Marlock & Lieven« dem Dritten Reich vor ein paar Jahren einen argen Streich gespielt hatte, und zwar unter Ausnutzung des Umstandes, daß an der Zürcher Börse deutsche Pfandbriefe auf Grund der politischen Situation seit langem nur noch zu einem Fünftel ihres Nominalwertes gehandelt wurden.
»Marlock & Lieven« – oder wer auch immer unter diesem Firmennamen operierte – hatte im Januar, Februar und März 1936 solche Pfandbriefe in Zürich mit illegal transferierten Reichsmarkbeträgen erworben. Danach war ein Schweizer Staatsbürger als Strohmann beauftragt worden, einige der in Deutschland wertlosen, in der übrigen Welt um so wertvolleren Gemälde der sogenannten »entarteten Kunst« zu kaufen. Die Nazi-Behörden erlaubten die Ausfuhr der Gemälde sehr gern. Erstens wurden sie die »unerwünschte« Kunst los, und zweitens erhielten sie die für ihre Aufrüstung so notwendigen Devisen. Der Schweizer Strohmann mußte nämlich dreißig Prozent der Kaufsumme in Schweizer Franken bezahlen.
Die restlichen siebzig Prozent allerdings – das bemerkten die Nazis erst viel später – bezahlte der Strohmann mit den deutschen Pfandbriefen, die auf diese Weise die Heimat wiedersahen, in der sie ihren normalen Wert besaßen, also den fünffachen dessen, zu dem »Marlock & Lieven« sie in Zürich erworben hatten.
Während Thomas Lieven die Dokumente studierte, dachte er: Ich habe dieses tolle Ding nicht gedreht. Also kann es nur Marlock gewesen sein. Er muß gewußt haben, daß die Deutschen ihn suchen, daß Lucie Brenner überwacht wird, daß man mich verhaften, daß man mir kein Wort glauben wird. Daß er mich damit los ist. Daß er die Bank damit für sich allein hat. O Gott. O lieber Gott im Himmel …
»So«, sagte Kommissar
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